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Die einzige Zeugin

Die einzige Zeugin

Titel: Die einzige Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Cassidy
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angeschaut?«
    »Habe ich nicht«, sagte sie und das Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht.
    »Hast du doch. Du hast auf der anderen Straßenseite gestanden und es angestarrt.«
    »Ich habe auf jemanden gewartet. Ich war in Gedanken ganz woanders. Ich weiß nicht mal, wie dein Haus aussieht. Ich habe einfach nur in die Luft gestarrt.«
    »Auf wen hast du gewartet? Auf deinen Freund? Deinen Vater?«
    »Auf Donny, meinen Onkel. Ich wohne bei ihm und meiner Tante. Also, zumindest bis vor kurzem.«
    »Und wo wohnst du jetzt?«
    »Bei meiner Tante. Mein Onkel wohnt nicht mehr bei uns. Das ist eine komplizierte Geschichte. Warum quetschst du mich überhaupt so aus?«
    »Also hast du keinen Freund?«
    »Das habe ich nicht gesagt.« Lauren entspannte sich wieder. Zum Glück fragte er nicht weiter nach dem Haus.
    »Du hast einen Freund?«
    »Vielleicht.«
    »Du solltest deine Haare offen tragen«, sagte er.
    »Sie sind zu lang. Sie nerven mich nur.«
    »Wenn sie offen wären, würdest du aussehen wie eine Meerjungfrau. Eine Meerjungfrau aus Cornwall.«
    Sie lachte. Er stellte sein Glas ab, schob seine Hand über den Tisch und legte sie auf ihre Hand. Er war so unverschämt selbstsicher, so überzeugt, dass er einfach unwiderstehlich war. Sie ignorierte seine Hand und konzentrierte sich auf die Ecke seines Zahnes. Er sah merkwürdig aus, wie ein angeschlagener Teller in der Auslage eines Porzellangeschäfts.
    »Du würdest mich mögen. Ich bin vielseitig begabt«, sagte er und zog mit seinem Finger kleine Kreise auf ihrem Handrücken, die ihr einen Schauer den Arm hinaufklettern ließen.
    Sie zog ihre Hand zurück und ließ sie unterm Tisch verschwinden.
    »Begabt?«, sagte sie. »Zum Beispiel fürs Kellnern?«
    »Ich habe letztes Jahr mein Abi gemacht und bin ein Jahr auf Weltreise gewesen.« Er setzte sich aufrecht hin, als wollte er sich dehnen. »Europa, Asien und Australien. Jetzt arbeite ich den Sommer über hier, bevor ich an der Uni anfange.«
    »Was ist mit Kuba?«, fragte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. »Da warst du nicht?«
    »Nein.«
    »Du hattest ein T-Shirt an, auf dem Cuba stand.«
    »Du hast mich also doch gesehen!«
    »Ich muss los«, sagte sie. »Julie wartet auf mich. Wir haben gleich Unterricht.«
    »Gib mir deine Nummer.«
    »Julie wartet.« Sie stand auf und schob den Stuhl unter den Tisch.
    »Komm doch mal abends bei mir vorbei. Ich zeige dir die Fotos von meiner Reise.«
    »Wahnsinnig originelle Anmache«, grinste sie.
    »Hazelwood Road 49. Komm Freitagabend, nach sieben. Du kannst einfach an die Tür klopfen. Du weißt ja, wo ich wohne.«
    »Ich glaube, da habe ich keine Zeit«, sagte sie und drehte sich um.
    »Ich warte auf dich. Ab sieben bin ich zu Hause.«
    Sie ging zum Ausgang. Julie wartete draußen, sie sah ihr pinkfarbenes Kleid leuchten. Sie lief auf sie zu, vorbei an dem Puppenhaus mit der Kennzeichnung Amy Miles’ Haus 1890 . Sie blieb kurz davor stehen und schaute sich die winzigen Puppen an. Sie waren alle wie in einem Moment eingefroren. Ein Teil von ihr wollte sich hinknien und sie durch das Haus bewegen, wie sie es immer mit dem Puppenhaus ihrer Mutter getan hatte. Dann ging sie weiter zum Ausgang. Komm vorbei. Nathans Stimme war in ihrem Kopf. Hazelwood Road. Du weißt ja, wo ich wohne.

7
    Freitagabend saß Lauren am Computer und beantwortete die E-Mails ihrer Freunde aus St. Agnes. Sie war froh, etwas zu tun zu haben, das sie von Nathans Einladung ablenkte. Sie hatte sich einzureden versucht, dass er es nur so dahingesagt hatte. Wahrscheinlich hatte er sie vergessen, sobald sie das Café verlassen hatte. Aber so oder so, wie könnte sie dieses Haus betreten? In der Hazelwood Road? Sie konnte einfach nicht. Es war völlig unmöglich.
    Trotzdem musste sie immer wieder an ihn denken. Sie setzte sich vor den Spiegel und löste ihren Pferdeschwanz. Sie ließ ihr Haar auf beiden Seiten des Gesichts herabfallen. Es reichte ihr fast bis zur Taille. Sie kämmte es mit den Fingern. Nathan hatte gesagt, sie sähe aus wie eine Meerjungfrau. Sie musste lächeln. Sie erinnerte sich daran, wie es ihr triefnass im Rücken hing und schwer an ihrem Kopf zog, wenn sie in St. Agnes nach dem Baden aus dem Meer kam. Warum hatte sie es nie schneiden lassen? Jessica hatte immer versucht, sie zu überreden. Es ist so unpraktisch , hatte sie sich beschwert, wenn sie Lauren das Haar kämmte und sich bemühte, ihr nicht wehzutun. Dann flocht sie es zu festen Zöpfen, damit es aus dem Weg war.

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