Die einzige Zeugin
Fensterläden waren alt und hatten an mehreren Stellen Risse im Holz. Um die Kanten verliefen kleine Blumenornamente. Das Holz wirkte ausgebleicht, als hätte es das Sonnenlicht aufgesogen.
Sie setzte sich wieder und streckte die Arme, bis ihre Gelenke knackten.
Als sie hier gewohnt hatte, waren die Fensterläden eine Zeitlang weiß gestrichen gewesen. Sie erinnerte sich daran. Ihr Vater hatte mehrere Wochen damit verbracht, die Farbe abzulösen. Er hatte wohl eine Art Brenner dazu verwendet, denn sie erinnerte sich, wie er sie gewarnt hatte. Komm nicht zu nahe, Lolly. Das ist heiß. Manchmal hatte sie neben ihm gestanden und zugeschaut, wie die Farbe unter der Hitze Blasen warf. Es war wie Zauberei. Dann nahm ihr Vater den Spachtel, um sie abzuschaben. Die Farbe löste sich in Streifen, die wie kurze Stücke Geschenkband auf den Boden fielen. Nicht anfassen, Lolly. Das ist heiß.
Aber da war noch etwas in ihrem Kopf. Etwas, das mit den Fensterläden zu tun hatte und das ein ungutes Gefühl in ihr weckte.
Sie stand auf und machte das Bett. Nur weil jetzt die Prüfungen vorbei waren, musste sie sich nicht schon wieder den Kopf über die Vergangenheit zerbrechen. Sie nahm ihre Kleider und ging ins Bad. Sie stellte sich unter die Dusche, um richtig wach zu werden. Sie hatte immer noch genug zu tun. Zwei Aufgaben für den Theaterkurs, die sie bis zum Ende der nächsten Woche abgeben musste. Dann würde sie nach Cornwall fahren. Während sie sich abtrocknete, kam ihr eine Idee. Vielleicht könnte Nathan für ein paar Wochen zu Besuch kommen. Sie könnte ihm die Gegend zeigen, dann würde er sich schon ein bisschen auskennen, wenn er nach Exeter zog.
Sie ging wieder ins Wohnzimmer und stellte ihre Schultasche aufs Bett. Sie begann ihre Unterlagen zu sortieren, unterbrach sich aber immer wieder, um die Fensterläden anzusehen. Sie fühlte sich zunehmend unbehaglich, dann wurde sie ärgerlich. Hatte sie ihre Gefühle denn überhaupt nicht unter Kontrolle? Musste sie sich die ganze Zeit um alte Erinnerungen drehen?
Es hatte mit ihrer Mutter zu tun. Und mit den Fensterläden.
Sie war ein kleines Mädchen und saß vor dem Fernseher. Ihre Mutter kam ins Zimmer. Es musste kurz nach der Geburtstagsparty der Zwillinge gewesen sein, denn sie trug wieder die Jeans mit den Glitzersteinchen. Sie schaute eine Zeichentrickserie an und hatte ihre Knie auf dem Sofa. Mit dem Finger drehte sie kleine Kreise um die glitzernden Steinchen auf dem Stoff.
Es klingelte. Ihre Mutter ging aus dem Zimmer, und Lauren erwartete, dass sie die Tür öffnen würde, aber das tat sie nicht. Ihre Mutter kam wieder ins Wohnzimmer. Sie war völlig aufgelöst. Sie sah aus, als würde sie weinen. Lauren erinnerte sich, dass sie aus irgendeinem Grund nicht weiter beunruhigt war. Nein, nein, nein, sagte ihre Mutter und lief im Zimmer auf und ab. Es schien, als sei es nichts Besonderes für sie gewesen, ihre Mutter in diesem Zustand zu sehen.
Es klingelte wieder. Der Ton war länger, jemand ließ den Finger mit Absicht auf der Klingel. Lauren schaute ihre Mutter an und wartete darauf, dass sie zur Tür ging und nachsah, wer es war. Stattdessen lief sie auf und ab und sagte, Nein, nein, nein.
Dann tauchte vor der Fensterscheibe ein Gesicht auf. Ihre Mutter stand mit dem Rücken zum Fenster und merkte es nicht, aber Lauren wusste sofort, dass es der Clown war. Sein langes Gesicht und seine großen Ohren waren hinter der Scheibe deutlich zu erkennen. Lauren fragte sich, ob er wieder eine Überraschung hinter seinem Rücken versteckt hatte. Ihre Mutter musste ihren Blick bemerkt haben, denn sie drehte sich um und sah ihn. Sie schien zu erstarren, und Lauren wusste nicht, was sie tun sollte. Plötzlich ging ihre Mutter schnell zum Fenster und klappte die Läden aus. Sie schob je ein Stück Holz vor ein Rechteck aus Glas. Sie war mit der einen Seite fertig, als der Clown sachte ans Fenster klopfte. Sie lief auf die andere Seite und sperrte mit dem Fensterladen sein Gesicht aus. Es ist alles in Ordnung, sagte ihre Mutter, es ist niemand da, wir müssen keine Angst haben. Aber es war mitten am Tag, und sonst wurden die Fensterläden nie geschlossen, solange es hell war. Der Raum lag im Halbdunkel und das Klopfen hörte auf. Es ist alles in Ordnung, wiederholte ihre Mutter und setzte sich neben sie aufs Sofa. Wir schauen fern, bis Daisy aufwacht.
Seit dem Tag hatten sie bei ihrer Mutter im Zimmer geschlafen, sie auf der einen Seite, ihre Mutter in der Mitte und
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