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Die Eisbärin (German Edition)

Die Eisbärin (German Edition)

Titel: Die Eisbärin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Gereon
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begann sie zu blättern. Vor. Zurück. Wieder vor. Dann endlich fand sie, wonach sie suchte. Der Name des Anzeigenerstatters sprang ihr entgegen, wie ein gefederter Clownskopf, der endlich aus seiner Schachtel befreit wird. Markus Kleiber. Der Name, der auch auf der Liste der Essener Fahrzeughalter stand. Sie hatte sich also nicht geirrt.
    Bergmann riss die Anzeige heraus und überflog den Sachverhalt, den sie selbst vor gut fünf Wochen verfasst hatte. Sie las noch einmal durch, was der kleinen Laura Kleiber in der Nähe des Spielplatzes am Schellenberger Wald passiert war. Nach dem Namen der Mutter suchte sie aber vergeblich. Ärgerlich griff sie zum Telefon und rief eine Etage höher bei der Leitstelle an. Der Kollege erkannte offenbar die angezeigte Nummer.
    „Nanu, Christa, so spät noch bei der Arbeit?“
    „Hier ist Bergmann“, murrte sie, die keine Lust auf Small Talk verspürte. „Ich brauche eine Auskunft vom Einwohnermeldeamt. Hier aus Essen.“
    „Augenblick.“
    Bergmann nannte die Adresse aus der Anzeige. Zehn Sekunden später erhielt sie Namen und Geburtstag. Sie notierte sich die Angaben und lief zurück in ihr Büro. Sabine Kleiber, wiederholte sie den Namen immer wieder und setzte all ihre Hoffnung darauf, sie auf der Liste des Internats zu finden. Unter den einundsiebzig Mädchen gab es sechs, die Sabine hießen. Geburtsdaten waren nicht vermerkt, und sie geriet in glühenden Zorn über die Unfähigkeit der Internatssekretärin. Bergmann ging die Aufstellung ein zweites und drittes Mal durch, aber es gab keine Sabine Kleiber.
    Plötzlich schlug sie sich entsetzt mit der Hand vor die Stirn und begann, lautstark zu fluchen. Wie konnte ihr das nur passieren? Nicht mal dem blutigsten Anfänger würde dieser Fehler unterlaufen. Mit einer Mischung aus Wut und Scham rief sie ein zweites Mal die Leitstelle an und spürte große Erleichterung, als ein anderer Kollege das Gespräch entgegennahm. Jetzt ließ sich Bergmann den Geburtsnamen der für die Unruhstraße verzeichneten Frau geben. Als sie ihn schließlich hörte, vergaß sie sogar, sich zu bedanken, und gab sich ohnmächtig der Gefühlsexplosion in ihrem Innern hin.
    Sie wusste nicht, wie lange sie dort gesessen hatte, als sich Pulsschlag und Atmung langsam normalisierten und sie wieder in der Lage war, klare Gedanken zu fassen. Immer und immer wieder las sie den Namen des Mädchens. Sabine Schwarz. Schülerin am Schlossinternat von 1988 bis 1996. Geboren am 16.05.1977, heute 33 Jahre alt. Wohnhaft nur wenige Kilometer von beiden Tatorten entfernt. Mutter einer achtjährigen Tochter, die vor wenigen Wochen Opfer eines Exhibitionisten geworden war.
    Bergmann wusste nicht, ob sie glücklich oder unendlich traurig sein sollte. Eine halbe Stunde saß sie vollkommen reglos in ihrem Stuhl, die Augen geschlossen, und dachte nach.
    Es war bereits kurz nach eins, als sie ein drittes Mal in dieser Nacht zum Telefon griff.
    ***
    Der Anruf riss Klein unsanft aus dem Schlaf. Wie oft er in all den Jahren bei der Kriminalpolizei schon aus dem Bett geklingelt worden war, wusste er nicht. In der überwältigenden Mehrheit aller Fälle verhießen diese nächtlichen Störungen nichts Gutes. Sie bedeuteten scheußliche Anblicke oder stundenlanges Arbeiten in Regen, Kälte und Müdigkeit.
    In dieser Nacht allerdings handelte es sich um eine jener seltenen Ausnahmen, die der Grund dafür waren, sich in den übrigen Fällen überhaupt aus dem Bett zu quälen. Sie hatten einen dringend Tatverdächtigen.
    Um zwei Uhr morgens betrachtete sich Klein im Flurspiegel. Er fühlte sich so frisch und lebendig wie schon lange nicht mehr. Der Polizistenberuf stellt alles auf den Kopf, dachte er. Ich hätte besser den Kohlenkeller übernehmen sollen.
    Dann nahm er den Schlüssel vom Brett und ging hinaus.

Sonntag, 28. November, 10.15 Uhr
    Unter den Duft ihres frisch aufgebrühten Kaffees mischte sich der schwache Geruch nach Chlor. Sowohl Laura als auch Nicole waren gute Schwimmerinnen, aber Sabine war wohler, wenn die Glastür offen stand und sie die Kinder beim Planschen hören konnte.
    Sie nahm den Becher, ging ins Wohnzimmer und schaute hinaus in den Garten. Ein friedlicher Morgen. Die Nacht war sternenklar gewesen, und nun übersäten Eiskristalle den frostigen Boden und glitzerten sterbend in den hellen Sonnenstrahlen, die schräg und grell durch die blätterlosen Kronen fielen.
    Plötzlich spürte sie eine sanfte Berührung. Branca war unbemerkt herangeschlichen und

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