Die Eisbärin (German Edition)
passende Reifenprofil. Der passende Fahrzeugtyp, der zur Tatzeit in Tatortnähe gesehen wurde. Das spezifische Fuchshaar am Tatort, das mit hoher Wahrscheinlichkeit dem Mantel in ihrem Kleiderschrank zugeordnet werden konnte. Zudem die Überreste verbrannter Kunstfasern in ihrem Kamin. Die Übereinstimmung von Geruchsproben der Täterin mit denen der Kleidung, die am Zaun gesichert wurde. Die Auffindung von Einbruchswerkzeug sowie zweier Waffen, die exakt denen entsprachen, die bei den Morden verwendet worden waren. Die Vorbeziehung zu einem der Opfer und somit die klare Motivlage, ein fehlendes Alibi und nicht zuletzt das umfassende Geständnis der Tatverdächtigen.
Klein hätte glücklich sein können, doch er schob den Packen weit von sich. Es war sein erster Arbeitstag nach der selbstgenehmigten Pause, und er wünschte sich nichts sehnlicher, als auf der Stelle wieder nach Hause zu gehen. Die Nächte in der Kneipe seines Bruders hatten die Ereignisse nur vorübergehend aus seinem Gedächtnis gelöscht. An diesem Morgen war er das erste Mal seit Tagen wieder nüchtern, und mit dem Kater kam die Erinnerung.
Nachdem Julia Winter und er am Empfang der JVA vom Selbstmord Sabine Kleibers erfahren hatten, war Klein ausgerastet. Rasend vor Wut, hatte er den Bediensteten angeschrien und einen Stuhl im Wartebereich zerstört. Er hatte getobt und gebrüllt, bis er schließlich unsanft von zwei Vollzugsbeamten in die Schranken gewiesen wurde. Klein war eine Viertelstunde zu spät gekommen. Mit etwas Abstand betrachtet, war er froh, dass man Sabine so schnell gefunden hatte und ihnen der Anblick des erhängten Körpers erspart geblieben war.
Die Anwältin und er waren zurück zum Parkplatz geschlichen und hatten eine ganze Stunde schweigend nebeneinander im Auto verbracht. Dann fing Julia Winter plötzlich an zu reden. Sie erzählte offen und schonungslos bis zur Schmerzgrenze. Klein erfuhr von den wiederholten nächtlichen Besuchen, den abwechselnden Vergewaltigungen, den Drohungen und der hilflosen Angst der Mädchen. Winter erzählte ihm auch von dem Hilferuf an Pastor Paulsberg, der offenbar aber folgenlos geblieben war. Sie berichtete von ihrer verzweifelten Flucht zu einer entfernten Verwandten nach Bayern und ihren quälenden Schuldgefühlen, die sie in all den Jahren nie hatte ablegen können. Zu spät hatte sie begriffen, dass ihre Verdrängung nicht nur ihr eigenes Leben verhinderte, sondern dass sie dadurch auch ihre Schuldgefühle Sabine gegenüber nie ablegen würde. Als sie sich endlich auf den Weg zu Sabine gemacht hatte, war sie von einer verzweifelten Hoffnung getrieben. Einer Hoffnung, die sich nach Wiedergutmachung sehnt, nach Erlösung. Aber es war zu spät gewesen. Diese Chance war für immer vorbei. Julia würde mit ihrer Schuld weiterleben müssen, die ihr größer und unerträglicher vorkam als jemals zuvor.
Es war bereits dunkel, als sie zum Präsidium zurückkehrten. Julia Winter hatte sich noch am gleichen Abend auf den Heimweg nach München gemacht, und Klein hatte den Kohlenkeller aufgesucht, um zu vergessen.
Jetzt wurde ihm klar, dass es ihm nicht gelungen war. Er schloss die Augen und versuchte, ein wenig zu ruhen, doch das Klingeln des Telefons holte ihn zurück in die Gegenwart.
„Klein.“
Seine Stimme klang erschöpft und mutlos.
„Christa hier. Du hörst dich nicht gut an. Ist alles in Ordnung?“
„Ja“, log er. „Ich bin nur müde.“
„Ein Kollege am Apparat. Oben aus dem Norden.“
„Erst München, jetzt der hohe Norden. Was zum Teufel wollen die Leute von mir? Ich muss unheimlich beliebt sein.“
„Stimmt, ich mag dich jedenfalls“, sagte Christa und legte auf.
„Klein. Kripo Essen.“
„Guten Morgen. Hildebrandt. Polizei Oldenburg, Niedersachsen.“
„Was kann ich für Sie tun?“
„Sie sind der Leiter der Kommission, die den Tod von Herbert Lüscher untersucht?“
„War“, betonte Klein, „die Ermittlungen sind abgeschlossen.“
„Nun, ich weiß nicht, ob es wichtig ist, aber wir hatten am Wochenende eine Einbruchserie in der Seekolonie.“
Das ist mit Sicherheit äußerst wichtig, dachte Klein ironisch und fragte sich, warum er nicht einfach auflegte.
„Wo?“
„Seekolonie, ein kleines Freizeitdorf für Rentner. Die Leute haben dort kleine Gärten oder Hütten. Es gibt einen großen See in der Nähe, das Zwischenahner Meer.“
„Jetzt bin ich gespannt, was das mit mir zu tun hat.“
„Der Name des Besitzers einer der Hütten lautet auf
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