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Die Eisbärin (German Edition)

Die Eisbärin (German Edition)

Titel: Die Eisbärin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Gereon
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Herbert Lüscher. Wir haben die Personalien in den Rechner gegeben und sind auf eure Mordermittlung gestoßen.“
    Das war es also, dachte Klein. Kein örtlicher Angelverein. Eine kleine Hütte in der Abgeschiedenheit Norddeutschlands. Doch jetzt half ihnen diese Information auch nichts mehr. „Wurde etwas entwendet?“
    „Wir sind nicht sicher. Zum Inventar gehört ein Bett, ein Kühlschrank, eine Kochplatte und Reste einer Angelausrüstung, Haken und Köder. Wahrscheinlich haben die Diebe die Ruten mitgenommen.“
    Oder sie sind völlig leer ausgegangen, sagte Klein im Stillen und dachte an die Angeln in Lüschers Keller. „Danke, dass Sie uns informiert haben“, sagte Klein. „Ich denke, wir brauchen die Sachen nicht mehr. Kümmern Sie sich um die Entsorgung? Angehörige gibt es nicht.“
    „Das können wir. Aber da wäre noch etwas.“
    „Ja?“
    „Lüscher hatte hinter der Holzvertäfelung ein Versteck eingebaut. Eine Art Geheimfach. Der Kollege hat es nur durch Zufall entdeckt, als er gestolpert und gegen die Wand gefallen ist.“
    „Haben Sie nachgesehen?“
    „Ja, wir haben eine Blechkassette gefunden.“ Hildebrandt räusperte sich. „Ich muss mich entschuldigen“, fuhr er fort, und Klein beschlich das Gefühl, dass ihm die Worte peinlich waren. „Die Kollegen der Streife waren etwas voreilig. Sie haben die Kassette aufgebrochen.“ Hildebrandt lachte gequält. „Immerhin haben sie vorher Handschuhe angezogen.“
    Klein dachte an die silberfarbenen Schlüssel in Lüschers Wohnzimmerschrank und wusste nun, wozu sie passten.
    „Was wurde gefunden?“
    „Ein Buch.“
    Der Anrufer machte eine Pause, und Klein spürte, dass es kein Angelführer war, von dem der Kollege sprach.
    „Was für ein Buch, Herr Hildebrandt?“
    „Es sind handschriftliche Aufzeichnungen. Wir haben … nun ja, Leseproben genommen.“
    „Sie meinen, es sind Aufzeichnungen von Lüscher selbst?“
    „Ja, das glauben wir.“ Wieder eine kurze Pause. „Herr Klein, was dort steht, ist nur schwer zu verdauen. Es ist fürchterlich.“
    Klein wurde schlagartig klar, was er meinte. „Zu fürchterlich für das Telefon, nicht wahr?“
    „Ja.“
    Der Ermittler überlegte zwei Sekunden.
    „Geben Sie mir drei Stunden. Ich komme.“
    Die lange Autofahrt war ein willkommener Ausbruch aus der bedrückenden Enge seines Büros. Er hatte Bergmann überreden wollen, mitzukommen, aber die Kollegin steckte gerade mitten in den Vorbereitungen für ihren Urlaub, den sie nun doch antreten konnte. Klein schaltete den Tempomaten auf Reisegeschwindigkeit, betrachtete die mit jedem Kilometer ländlicher werdende Landschaft und dachte an das, was ihn erwarten würde. Im Grunde wusste er es längst. Es war das Werk eines grausamen Sadisten. Die Bibel des Teufels selbst.

Epilog

Montag, 06. Dezember, 21.16 Uhr
    Als sich Klein an diesem Abend hinauf zu seiner Wohnung schleppte, begegnete er Irina im Hausflur. Sie trug nur ihre Hausschuhe und hielt den Flaschenträger in der Hand, war also offenbar auf dem Weg in den Keller. Sie grüßte verlegen und hielt den Kopf zur Seite, als sie aneinander vorbeigingen. Doch Klein hatte es längst bemerkt. Um das rechte Auge hatte Irina einen dicken, blauen Fleck. Die geschwollene Braue schimmerte rötlich dunkel und schien vor kurzem aufgeplatzt. Klein schloss die Augen und legte die letzten Stufen zurück. Ihm fehlte die Kraft. Als er den Schlüssel ins Schloss der Wohnungstür steckte, fühlte er sich machtlos und einsam wie nie zuvor in seinem Leben. Lüschers Tagebuch war wie die Frucht eines vergifteten Baums. Er hatte davon gekostet und war nun infiziert mit den widerlichen Abartigkeiten eines kranken Gehirns. Lüscher hatte jedes einzelne seiner Abenteuer , wie er seine Verbrechen selber nannte, präzise dokumentiert. Es verursachte Übelkeit und körperlichen Schmerz, in welcher Art und Weise die abscheulichen Misshandlungen seine perverse Phantasie beflügelt hatten. Die brutale Macht über die Mädchen war der Jungbrunnen seines erbärmlichen Lebens gewesen.
    Klein sackte auf der Couch in sich zusammen, löschte das Licht und starrte an die Decke seines Wohnzimmers. Dann konnte er es nicht länger zurückhalten. Es war seine Seele, die sich mit aller Gewalt Luft verschaffte, um nicht zu ersticken.
    Er weinte noch immer, als er eine Stunde später aus fiebrigem Halbschlaf erwachte. Resigniert stellte er fest, dass sich nichts verändert hatte. Der Schmerz und die Bitterkeit hielten ihn nach wie vor in

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