Die Eisbärin (German Edition)
dumme Arschloch?“
Wie hatte sie das geschafft? Wie war sie aus den Fesseln gekommen, womit hatte sie ihn betäubt?
Sabine beugte sich noch weiter hinab und flüsterte in sein Ohr: „Ich war noch ein kleines Kind, du mieses Schwein. 11 Jahre war ich alt. Dafür wird dich der Teufel holen.“
Schweißtropfen perlten auf seiner Stirn, krampfhaft suchte er nach einem Ausweg.
Sabine richtete sich auf und fuhr in eisigem Flüsterton fort: „Damals hast du mein Leben genommen. Nun werde ich deines nehmen.“
Dann wandte sie sich von ihm ab. Aus den Augenwinkeln konnte er erkennen, wie sie etwas zwischen den aufgewühlten Laken hervorholte. Angst stieg in ihm auf und schien zu explodieren, als plötzlich der blitzende Stahl der Messerklinge vor seinem Gesicht erschien. Er wollte brüllen, sie wegstoßen, fortlaufen, aber die Muskeln gehorchten ihm nicht. Nur die Bewegung der Augen war ihm geblieben. Gelähmt musste er mit ansehen, wie Sabine das Messer umklammerte und die Spitze senkrecht neben seinem Brustbein aufsetzte.
Todesangst brach in ihm aus. Mit allergrößter Anstrengung schaffte er es, seinen rechten Arm ein Stück weit anzuheben.
„Hör auf, es ist zwecklos“, hörte er sie sagen. Auf ihren Lippen zeichnete sich ein dünnes Lächeln ab. Kurz darauf spürte er einen leichten Druck auf seiner linken Brust. Ungläubig sah er mit an, wie die scharfe Klinge mühelos ein paar Zentimeter tief in seinen Körper glitt. In diesem Moment wusste er, dass es vorbei war. Es gab keinen Ausweg mehr, kein Zurück. Der Zeitpunkt, an dem er für all seine Sünden bezahlen musste, war gekommen. Dass ausgerechnet das wehrlose Kind von einst die Rolle des grausamen Vollstreckers spielte, erschien ihm als bitterer Vorgeschmack auf die finstere Hölle, die ihn erwarten würde.
Die Angst verschwand genauso schnell, wie sie gekommen war, und wich einer Ruhe, die ihn vollkommen beherrschte. Er suchte und fand ihren Blick. Ohne die Verbindung zu lösen, sah er, wie sie die rechte Hand seitlich neben ihren Kopf führte, während die linke noch immer das Messer in fester Umklammerung hielt. Einen winzigen Augenblick verweilte sie in dieser Position. Es erinnerte ihn an die amerikanischen Gerichtsshows, die er so gerne sah. An die Szenen, in denen jemand im Zeugenstand vereidigt wird. Wahrscheinlich hast du vor langer Zeit auch etwas geschworen, dachte er. Etwas, das du jetzt zu Ende bringst.
„Fahr zur Hölle, du Dreckschwein“, sagte sie kalt. Dann sauste ihre flache Hand krachend herab, schlug auf den Messerknauf und trieb die Klinge bis zum Anschlag in seinen Körper hinein. Der harte Stahl ritzte an seinen Rippen, durchtrennte Muskeln und Knorpel und drang schließlich direkt in sein Herz.
Ein letzter, brennender Schmerz durchzuckte seinen Körper. Bis zu diesem Moment hatte er ihrem Blick standgehalten, doch nun flackerten seine Augen, und sein Kopf fiel langsam auf die Seite. Mit einer letzten Kraftanstrengung sah er noch einmal in Sabines Gesicht. Ihr zufriedenes Lächeln war das Letzte, was sich auf seine Netzhaut brannte. Immer schneller breitete sich nun eine Eiseskälte in ihm aus, die jeglichen Schmerz betäubte. Er fühlte, wie er langsam in ein tiefes, dunkles Meer sank, bis die schäumenden Fluten schließlich über ihm zusammenschlugen und ihn vollkommene, pechschwarze Stille umfing.
Samstag, 30. Oktober, 19.40 Uhr
Sabine lag regungslos in der Badewanne, den Kopf so tief im Wasser, dass sie durch die Nase atmen musste. Der duftende Schaum hatte sich in bizarre Gebilde verwandelt, die nun wie kleine Eisberge vor ihr aus der spiegelglatten Wasseroberfläche ragten.
Der Alptraum der letzten Stunden hielt sie noch immer fest im Griff. Nur langsam verarbeitete ihr Verstand die unfassbaren Geschehnisse. Ihre Gedanken kreisten verschwommen um die Leiche und die Bilder der letzten Stunden davor. Wie hatte das passieren können? Alles war schiefgelaufen. Was hatte Herbert Lüscher gesagt? Dumm und dilettantisch. Ja, das war sie in der Tat. Sie hatte sich von dem alten Mann überrumpeln lassen und war nur um Haaresbreite dem sicher geglaubten Tod entronnen.
Sabine atmete tief ein, hielt die Luft in ihren Lungen und ließ den Kopf unter die Oberfläche sinken. Das seifige Wasser drang in die Wunde an ihrem Hinterkopf und brannte fürchterlich.
Du hast es nicht anders verdient. Du könntest jetzt tot sein. Eigentlich müsstest du jetzt tot sein, so planlos, wie du dich benommen hast. Scheiße, du hast es sogar
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