Die Eisbärin (German Edition)
konnte. Mit dröhnendem Kopf ging sie Richtung Wohnzimmer.
Tu es ihnen zuliebe. Tu es für Laura.
Sie setzte ein Lächeln auf und drückte die Klinke.
„Hallo, ihr Süßen! Wie war euer Tag?“
II. Teil
Mittwoch, 17. November, 12.30 Uhr
Martin Schneider lenkte den silbergrünen VW Passat über die regennasse Straße, während sein Kollege Nico Kretschmar für die Bedienung des Funkgerätes zuständig war. Die beiden 22 und 24 Jahre alten Streifenpolizisten arbeiteten im Bezirk Steele, einer Nebenwache innerhalb der Polizeiinspektion Essen-Mitte.
Es war bereits die fünfte Frühschicht in Folge, und in einer halben Stunde würden die Kollegen der Spätschicht zur Ablöse erscheinen. Schneider warf einen Blick auf die Uhr und gähnte.
„Komm, wir fahren rein, gleich ist Schicht“, sagte er müde.
„In Ordnung. Schreibst du die Unfallanzeige heute noch?“, erkundigte sich Kretschmar, während er schmatzend auf seinem Hamburger herumkaute.
„Reicht, wenn ich das morgen früh mache“, antwortete Schneider. „Hab keine Lust, schon wieder Überstunden zu machen, nur weil der Opa von vorhin kein Auto fahren kann.“
„Seh ich ähnlich“, stimmte Kretschmar mit vollem Mund zu, „war auch so schon stressig genug heute.“
Plötzlich krächzte der Lautsprecher des Zwei-Meter-Funkkanals.
„Wagen 34 von Funker, kommen.“
Die jungen Polizisten erkannten den Tonfall des Kollegen, der nichts Gutes verhieß.
„Scheiße“, sagte Kretschmar, dann drückte er die Sprechtaste. „Was gibt’s, Peter, mach bloß keinen Mist.“
„Tut mir leid, Jungs, ich bekomme hier gerade einen Einsatz von der Leitstelle auf den Schirm, der kann nicht warten. Fahrt mal zum Von-Ossietzky-Ring 335, dort Angaben zu Verwesungsgeruch aus einer Wohnung. Die Anruferin macht sich bemerkbar.“
„Ist gut, Peter, sind unterwegs. Wenigstens dir einen schönen Feierabend.“
Kretschmar drückte die Taste des Funkgerätes, die dem Zentralcomputer signalisierte, dass sie den Einsatz übernommen hatten.
Nun tönte es aus dem anderen Lautsprecher: „Wagen 34 von Leitstelle, kommen.“
Dieses Mal handelte es sich um den offiziellen Vier-Meter-Kanal, der aufgezeichnet und von sämtlichen Wachen und Fahrzeugen des Essener Präsidiums mitgehört wurde. Small Talk und Späße waren hier fehl am Platz.
„34 hört“, nahm Kretschmar den Funkspruch vorschriftsmäßig entgegen.
„Die Feuerwehr ist auch bereits unterwegs“, gab der Sprecher der Einsatzleitstelle durch. „Ich schicke vorsichtshalber noch einen Rettungswagen.“
„Verstanden, Eintreffen in circa fünf Minuten.“
Wenige Minuten später trafen Schneider und Kretschmar ein. Der Rüstwagen der Feuerwehr war bereits vor Ort. Die eingeschalteten Drehlichter schlugen tanzende, blaue Schneisen in den ungemütlichen Novembertag. Einer der Männer hob grüßend die Hand.
„Unsere Jungs sind schon drin“, rief er den Polizisten zu und nickte zum Hochhaus hinüber. „Fünfte Etage.“
Schneider sah seinen Kollegen an.
„Aufzug oder Treppe?“, stellte er die obligatorische Frage.
Kretschmar dachte an den fettigen Hamburger.
„Treppe“, sagte er schließlich. „Vielleicht ist die Tür schon auf, wenn wir oben sind.“
Als die beiden schließlich leicht außer Atem das fünfte Obergeschoss erreichten, trafen sie zunächst auf die Anruferin. Frau Gerscher, die Nachbarin aus dem gegenüberliegenden Flur, gab an, seit Tagen einen sonderbaren Geruch aus einer der beiden Wohnungen im rechten Flur wahrzunehmen. Sie habe bereits zweimal geklopft, es sei aber nicht geöffnet worden. Kennen? Nein, kennen tue sie die Leute nicht, die dort wohnten.
„Vielen Dank, dass Sie uns angerufen haben. Gehen Sie am besten zurück in Ihre Wohnung. Wenn wir noch Fragen haben, melden wir uns“, beendete Schneider das Gespräch.
„Ich fasse es nicht“, raunte er seinem Kollegen zu, nachdem Frau Gerscher außer Hörweite war. „Die Leute wohnen Tür an Tür und kennen nicht mal den Namen des anderen. Ich könnte so nicht leben.“
Kopfschüttelnd betrat er den Flur und bemerkte sofort den unverkennbaren, leicht süßlichen Geruch. Obwohl nur schwach, war der Geruch nicht zu leugnen. Offenbar hatten die Feuerwehrmänner die Quelle bereits genauer lokalisiert, denn einer von ihnen kniete vor der links abgehenden Wohnung im rechten Flur und machte sich am Türschloss zu schaffen.
„So etwas sieht man nicht oft“, sagte er, als er die Polizisten bemerkte. „Massive Tür, noch
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