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Die Eisbärin (German Edition)

Die Eisbärin (German Edition)

Titel: Die Eisbärin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Gereon
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größere Vorräte des Whiskeys lagerten. Er kramte den Flaschenträger hervor und warf anschließend einen Blick ins Schlafzimmer. Das Stöhnen war lauter geworden.
    Er schaltete das Licht aus und schloss die Tür. Augenblicklich war es totenstill. Kein Geräusch konnte den isolierten Raum mehr verlassen. Herbert Lüscher schloss die Schlafzimmertür vorsichtshalber ab, schlüpfte in seine Pantoffeln und verließ die Wohnung.
    Während er auf den Aufzug wartete, ergriff ihn erneut eine Woge der Vorfreude.
    ***
    Das Schwarz um sie herum verwandelte sich langsam in ein dunkles Grau. Plötzlich erlangte ihr Bewusstsein die Kontrolle zurück, und sie öffnete schlagartig die Augen. Ihr von Panik überschwemmtes Gehirn versuchte, sich zu orientieren und die Situation zu erfassen. Doch alles, was ihre Sinne aufnahmen, war geräuschlose Finsternis und ein heftiger Druckschmerz in ihrem Kopf. Sabine versuchte, sich zu bewegen, doch ihre Gliedmaßen wurden durch unsichtbare Ketten festgehalten. Die aufsteigende Angst schnürte ihr die Kehle zu. Ihr Gehirn bemühte sich fieberhaft zu begreifen und fing an, einzelne Bilder an ihr inneres Auge zu senden. Langsam verdichteten sich die Bilder zu kleineren Szenen, und schließlich wusste Sabine wieder, wo sie war und was geschehen war. Lediglich an diesen Raum hatte sie keine Erinnerung.
    „Oh Gott, was ist das hier?“, fragte sie mit belegter Stimme. Die Worte klangen merkwürdig dumpf, wurden förmlich verschluckt. Doch Sabine bemerkte noch etwas anderes. Irgendwo im Raum schien es eine schwache Lichtquelle zu geben. Ihre Augen begannen, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen, und sie konnte erste Umrisse erkennen. Langsam drehte sie den Kopf nach rechts in Richtung des Lichtscheins. Begleitet von dem Stechen eines schier unerträglichen Kopfschmerzes, erkannte sie einen kleinen Radiowecker, der die Uhrzeit in grünen Leuchtziffern zeigte. Sie versuchte, den Raum zu erfassen, doch außer einem großen Spiegelschrank, der die gesamte Wand einzunehmen schien, konnte sie nichts erkennen. Behutsam drehte sie den Kopf auf die andere Seite und zwang sich, die Schmerzen zu ignorieren.
    Nach und nach zeichneten sich die Umrisse gegen die Dunkelheit ab. Da war er. Ihr Mantel hing über der Lehne eines Stuhles, der direkt neben dem Bett stand. Die Seitentasche befand sich genau auf der Höhe der Matratze.
    Sie streckte die Finger, soweit sie nur konnte, doch es fehlten wenige Zentimeter, um den Mantel zu berühren.
    So verdammt nah, und doch unerreichbar.
    Mit trotziger Energie rüttelte sie heftig an ihren Fesseln und missachtete das Feuer in ihrem Kopf. Sie spürte, dass die Riemen aus weichem Material waren. Es hatte keinen Sinn, zu versuchen, sich aus allen vier Fesseln gleichzeitig zu befreien. Sabine beschloss, sich auf die linke Hand zu konzentrieren. Die Hand, die ihren Mantel fast berühren konnte.
    Sie hatte keine Ahnung, wo Herbert Lüscher gerade war, was er mit ihr vorhatte und wie viel Zeit ihr bis zu seiner Rückkehr noch blieb. Aber sie wusste genau, wenn es überhaupt eine Chance gab, dann war es diese. Sie musste ihre Hand aus der Schlaufe befreien. Sabine knickte den Daumen so weit in die Handinnenfläche hinein ab, wie es ihr möglich war. Dann versuchte sie, die Hand mit einer Drehbewegung herauszuziehen, doch die Fessel saß zu eng. Sie spürte, dass der Riemen zwar stramm war, ihr Handgelenk jedoch nicht vollkommen darin einquetschte. Sabine versuchte verbissen, sich zu befreien, Drehen, langsames Vor und Zurück, gewaltsames Ziehen. Vergeblich. Nach einer Weile spürte sie einen wässrigen Film auf ihrer Haut. Blut.
    Wenn ich es nicht schaffe, wird er mich umbringen.
    Sie sammelte ihre Kraft, biss sich auf die Zähne und legte alles in einen letzten, verzweifelten Versuch.
    Das Geräusch des Schlüssels im Schloss der Wohnungstür konnte sie in ihrer schallisolierten Kammer nicht hören.
    ***
    Herbert Lüscher betrat seine Wohnung und machte sich sofort auf den Weg in die Küche. Mit zittrigen Fingern holte er ein Whiskeyglas aus dem Schrank und schenkte sich randvoll ein. In einem einzigen, gierigen Zug leerte er das Glas, bevor er es ein weiteres Mal füllte. Brennend lief die Flüssigkeit durch seine Kehle, und augenblicklich legte sich die Wärme wie ein Schleier auf ihn. Er spürte, wie er ruhiger wurde.
    Dann stellte er die Flasche auf den Tisch und überprüfte den Inhalt von Sabines Handtasche. Sofort entdeckte er das große Jagdmesser. Er zog es heraus und

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