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Die Eisbärin (German Edition)

Die Eisbärin (German Edition)

Titel: Die Eisbärin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Gereon
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1991 als Erdkunde- und Geschichtslehrer an dem öffentlichen Gymnasium beschäftigt gewesen. Sie erhielten den Namen und die Adresse des Mannes, der zum Zeitpunkt von Lüschers Pensionierung die Schule geleitet hatte. Die Rektorin versprach außerdem, eine genaue Aufstellung aller Lehrkräfte zu veranlassen, die im selben Zeitraum an der Schule unterrichtet hatten wie Herbert Lüscher. Sie selbst sei erst viel später gekommen und habe ihn nie kennengelernt.
    Abschließend wies sie darauf hin, dass vielleicht jemand aus dem Schloss mit dem Namen Herbert Lüscher etwas anfangen könnte. Es gebe immer wieder gemeinsame Konferenzen und natürlich auch darüber hinausgehende Kontakte zwischen beiden Einrichtungen.
    Günther Klein hatte seinen Verstand zwar mittlerweile wieder unter Kontrolle, dennoch begriff er nicht, was die Direktorin meinte.
    „Schloss?“, fragte er und hob die Augenbrauen.
    „Das wissen Sie nicht?“
    Frau Rietberger konnte den Anflug von Belustigung nicht verhehlen.
    „Nein.“
    „Das Internat. Wenn Sie herauskommen, gleich rechts.“
    Die Ermittler verabschiedeten sich zügig und warteten bei einer Tasse Tee in der Schulcafeteria auf die versprochenen Listen. Eine Stunde später hielten sie die Ausdrucke in der Hand und traten hinaus in den kalten, sonnigen Tag. Der Nebel des Morgens hatte sich inzwischen verzogen und gab den Blick frei auf das kleine, ganz in Weiß gehaltene Gebäude auf der bewaldeten Anhöhe, das ihnen beim Ankommen nicht aufgefallen war. Nun bestrahlte die Sonne den herrschaftlichen Bau aus dem frühen 18. Jahrhundert und verlieh ihm etwas Märchenhaftes.
    „Ich beneide die Schüler“, sagte Bergmann plötzlich, „lauter kleine Prinzen und Prinzessinnen.“
    Klein dachte an die wenigen Erfahrungsberichte, die er über Internate gehört hatte.
    „Nur, dass die Könige oft grausame Tyrannen sind“, sagte er düster.
    Sie lösten sich von dem Anblick und gingen zu Fuß den Weg hinauf zum Internat. Sein Körpergewicht, die Steigung des kleinen Pfades und die Sonne, die ihm in den Rücken schien, ließen Klein bereits nach wenigen Metern ins Schwitzen geraten.
    Als sie das Schloss erreichten, spürten sie sofort, dass hier andere Verhältnisse herrschten. Sie konnten das Schloss nicht einfach betreten, sondern mussten zunächst an der schweren Pforte läuten und ihre Ausweise in das Auge einer schwenkbaren Kamera halten. Nachdem sie ihr Anliegen erneut vorgetragen hatten, wurden sie von einer Sekretärin, die ebenso kühl wie unnahbar schien, auf eine Wartebank verbannt. Klein dachte an die Sekretärin des Gymnasiums und fragte sich, wie zwei Menschen, die den gleichen Beruf ausübten, so unterschiedlich sein konnten. Er dachte gerade darüber nach, dass es durchaus Parallelen in seinem eigenen Job, ja sogar in dem intimen Kreis der kleinen Ermittlungsgruppe gab, als er das Geräusch von Absätzen hörte. Das Klacken durchschnitt die befremdlich wirkende Stille, die nicht zu einem Ort zu passen schien, an dem junge Menschen lebten.
    Die große, hagere Frau erschien wieder in der Tür und forderte sie mit strengem Blick über den Rand ihrer Lesebrille hinweg auf, ihr zu folgen. Klein bemerkte, wie die Sekretärin ihn von Kopf bis Fuß musterte, und er war sich sicher, ein Zucken in ihrem Gesicht zu erkennen, als sie sein verschwitztes Haar und danach seine Turnschuhe bemerkte. Die Ermittler standen auf und gehorchten der stummen Anweisung. Diese Frau war es offenbar gewohnt, Befehle zu erteilen, und Klein bezweifelte, dass sie jemals in Frage gestellt wurden. Sie folgten der Sekretärin durch ihren stilvoll eingerichteten Herrschaftsbereich, in dem Klein einen Monitor entdeckte, dessen Anzeige zwischen den Bildern verschiedener Überwachungskameras wechselte. Schließlich gelangten sie zu einer schweren, doppelflügeligen Tür.
    Klein hatte von der Bank aus mitbekommen, wie die Frau die Besucher über die Gegensprechanlage angemeldet hatte. Dennoch klopfte sie nun zweimal und wartete das „Herein“ ab, ehe sie einen der schweren Flügel aufzog und den Beamten wortlos bedeutete, einzutreten. Klein spürte ihren strengen, prüfenden Blick in seinem Rücken, ehe die Tür schließlich dumpf ins Schloss fiel.
    Das Büro des Direktors war riesig. Kleins Blick schweifte die hohe, stuckverzierte Decke entlang und glitt über die majestätisch großen Bücherregale. Anders als in seinem eigenen Dienstzimmer erschien hier alles bis ins kleinste Detail durchdacht und für die

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