Die Eisbärin (German Edition)
wissen Sie, wo wir Herrn Weinheimer finden können?“
Direktor Dambeck schüttelte den Kopf.
„Nicht auf Anhieb. Ich weiß aber, dass er nach wie vor über alle wichtigen Ereignisse und Entscheidungen im Zusammenhang mit diesem Internat informiert werden möchte. Meine Sekretärin wird Ihnen sicherlich die Adresse nennen können.“
Klein kniff feindselig die Augen zusammen, was Dambeck dazu veranlasste, eilig nachzuschieben: „Ich werde Frau Spieker bitten, sie Ihnen zu geben.“
„Wenn es keine Umstände macht.“
Klein versuchte, sich seine Erleichterung nicht anmerken zu lassen. „Wir brauchen außerdem eine Aufstellung sämtlicher Lehrer, die in der fraglichen Zeit am Internat waren, Ehemalige und noch Aktive.“
„Es wird nicht lange dauern, bitte entschuldigen Sie mich kurz.“
Dambeck drückte auf die Sprechtaste und gab die Aufträge an seine Sekretärin durch. Er schaute kurz zu seinen Besuchern hoch und fragte: „Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten, Tee oder Kaffee vielleicht?“
„Nein, danke“, antworteten Bergmann und Klein zeitgleich.
„Bringen Sie mir bitte einen Kaffee, Marianne“, beendete der Direktor das Gespräch.
„Sagen Sie, wie viele Lehrer gibt es in diesem Internat?“, fragte Klein in die entstandene Stille hinein.
„Nun, das Internat als solches hat nur eine Handvoll Lehrer. Wir sind ein kleines Haus mit derzeit 80 Schülern. Einige unserer Pädagogen sind keine Lehrer, sondern Erzieher im ursprünglichen Sinne. Wir hingegen pflegen die Bezeichnung Mentoren.“
„Herr Dambeck, erklären Sie uns bitte, wie das System hier funktioniert.“
„Wir haben umfangreiches Material für Eltern, die sich informieren wollen, Frau Spieker wird Ihnen sicherlich …“
„Nein“, unterbrach ihn Klein mitten im Satz und ärgerte sich über die latent arrogante Art des Direktors. „Wir würden es gerne von Ihnen persönlich erfahren“, sagte er und schaute seinem Gegenüber fest in die Augen. „Wenn es keine Umstände macht.“
Der Direktor räusperte sich, beugte sich leicht nach vorn und legte die Fingerspitzen beider Hände gegeneinander.
„Nun, wie Sie wünschen“, begann er. „Der Bau dieses Schlosses wurde 1736 fertiggestellt. Fast zwei Jahrhunderte diente es der Familie um Franz von Schlohdorf als Wohnsitz. Im Juni 1922, als es mit dem Adel in Deutschland nach Ausrufung der Weimarer Republik ohnehin zu Ende ging, starb die letzte Erbin, Elisabeth von Schlohdorf, kinderlos in hohem Alter. In ihrem Testament hatte sie das Schloss und seine angrenzenden Ländereien der Kirche vermacht. So dienten die Räumlichkeiten in den folgenden Jahren zunächst als Kloster, bis kurz vor Kriegsende größere Teile des Gebäudes von blind wütenden Invasionstruppen beschädigt wurden. Das Schloss ging drei Jahre später in die Hand der St.-Bartholomäus-Stiftung über, die die Instandsetzung finanzierte und ein Internat errichtete. Zum Sommer 1952 ging die Schule zunächst als katholisches Vollinternat für Jungen in Betrieb. 1970 wurde der Bau eines öffentlichen Gymnasiums beschlossen, das drei Jahre später fertiggestellt wurde. Aus dem Vollinternat wurde das System, das bis heute als Schule mit angeschlossenem Internat bezeichnet wird. Als weitere wesentliche Veränderung wurde die Koedukation eingeführt. Verantwortlicher Träger ist bis heute die St.-Bartholomäus-Stiftung geblieben.“
Günther Klein hatte ausschließlich zugehört, während sich seine Kollegin von Zeit zu Zeit Notizen machte. Das plötzliche Klopfen an der Tür hinter ihm ließ Klein zusammenzucken. Frau Spieker betrat das Büro und stellte ein silbernes Tablett mit einer dampfenden Tasse Kaffee auf den Schreibtisch.
„Herr Direktor“, sagte sie mit einem Nicken und wandte sich zum Gehen, ohne dabei die Polizisten eines Blickes zu würdigen. Sie hatte die Tür beinahe erreicht, als Klein einem plötzlichen Impuls folgte.
„Ach, Frau Spieker“, sagte er und drehte seinen Kopf nur halb auf die Seite, „könnten Sie mir doch eine Tasse Kaffee bringen? Mit Milch und Zucker, bitte.“
Offenbar hatte Direktor Dambeck die glühende Antipathie seiner Sekretärin bemerkt, denn er senkte den Blick und versuchte, ein Schmunzeln zu unterdrücken.
Als die Tür wieder zugefallen war, fuhr Klein unbeirrt fort: „Herr Direktor, wie funktionierte das Internat genau, sagen wir, zwischen 1973 und 1991?“
„Nun, wie ich eingangs bereits andeutete. Wir haben und hatten mit neun Lehrern vergleichsweise
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