Die Eisbärin (German Edition)
seines Zeigefingers ihren Hals entlang. „Und dann kümmern wir uns um dich.“
Montag, 22. November, 09.40 Uhr
„Sie haben Ihr Ziel erreicht.“
Die Stimme aus dem Navigationsgerät an der Windschutzscheibe durchbrach das Schweigen. Bergmann und Klein hatten die letzten Minuten damit zugebracht, staunend aus dem Fenster zu schauen und die kostspieligen Errungenschaften privilegierter Aachener Vorstädter zu bewundern. Es war ein sonniger, kalter Morgen, und die gefrorene, menschenleere Umgebung schien wie ein Bild aus einem kitschigen Werbeprospekt.
Bergmann stieg weich auf die Bremse und brachte den Opel zum Stehen. Nummer 27 lag genau wie die benachbarten Villen etwa 100 Meter von der Straße entfernt. Eine alte Steinmauer, die unter der Last von wild rankendem Efeu beinahe zusammenzubrechen schien, schützte vor neugierigen Blicken auf das weitläufige Grundstück. In der Mitte der Mauer stand ein schweres, schmiedeeisernes Tor, dessen rechter Flügel geöffnet war. Die Lücke bot ausreichend Platz, um mit dem Wagen hindurchzufahren.
„Soll ich?“, fragte Bergmann mit einem Unterton in der Stimme, der echte Verunsicherung verriet.
„Wir sind angemeldet“, antwortete Klein, der keine Lust verspürte, die 100 Meter zu Fuß zurückzulegen. „Und so wie ich das sehe, stehen die Pforten in dieser Gegend nicht aus reiner Nachlässigkeit offen. Man erwartet uns.“
Bergmann drehte das Lenkrad, steuerte den Opel vorsichtig durch das Tor und fuhr im Schritttempo über den breiten Kiesweg, der in gerader Linie auf die Villa zuführte. Es war ein prachtvoller Bau aus dunklen Natursteinen mit halbrunden Erkern auf beiden Seiten, hohen Fenstern und schwarzem Schieferdach. Das Haus schien immer gewaltiger zu werden, je näher sie kamen.
„Hast du so etwas schon mal gesehen?“
Bergmann ließ ihren Blick durch den winterlichen Garten schweifen, der sich zu beiden Seiten des Weges parkähnlich ausdehnte.
„Höchstens im Fernsehen“, antwortete Klein, ohne seinen Blick von den Kirsch- und Apfelbäumen zu lösen, auf deren Zweigen weißer Rauhreif in der Morgensonne glitzerte.
„Das muss ja das reinste Paradies sein im Sommer“, schwärmte Bergmann sichtlich beeindruckt.
„Wenn man sich eine Handvoll Gärtner leisten kann, die die ganze Arbeit erledigen, bestimmt.“
„Ich glaube, in diesem Punkt müssen wir uns keine Sorgen machen, was?“
„Nein, sieht nicht danach aus.“
Bergmann folgte einer Abzweigung des Weges und hielt vor einer riesigen Doppelgarage.
„Dann wollen wir mal“, sagte Klein und zwängte sich umständlich aus dem Wagen. Der Kies knirschte unter seinen Turnschuhen, während er sich dem mächtigen, in einen gemauerten Rundbogen gefassten Eingang näherte. Er fröstelte und wusste nicht, ob es an den eisigen Temperaturen lag oder eher an dem überdeutlichen Gefühl, die ganze Zeit unter Beobachtung zu stehen. Sie stiegen die Stufen zu der breiten, überdachten Veranda hinauf, und Klein las die gemeißelte Inschrift über der Tür: IN MANU TUA SORS MEA .
„‚In deinem Tresor liegen meine Millionen‘, wäre wohl zu offensichtlich gewesen“, flüsterte Bergmann, die die Inschrift ebenfalls gelesen hatte und sie mit Hilfe ihres Schullateins übersetzen konnte. Klein zuckte nur mit den Schultern und trat zur Tür. Instinktiv hielt er Ausschau nach einem schweren, löwenköpfigen Türklopfer, fand aber nur einen schlichten, schwarzen Klingelknopf. Seine Fingerspitzen hatten die Klingel noch nicht berührt, als sich plötzlich hinter der Tür etwas regte. Die Ermittler traten einen Schritt zurück und warteten, bis der schwere Riegel zurückgeschoben war. Die Tür ging auf, aber nur so weit, wie es die eingehängte Kette erlaubte. Im Halbschatten erkannte Klein das hagere Gesicht einer Frau, die sie mit unverhohlener Skepsis musterte.
„Ja, bitte?“, fragte sie in einem Tonfall, als hätte sie tatsächlich keine Ahnung, wer da vor ihr stand.
„Kriminalpolizei Essen“, sagte Klein und kramte seine Marke hervor. „Wir haben einen Termin mit Alois Weinheimer.“
Er hielt diese Vorstellung für ausreichend und wartete auf eine Reaktion der Frau, die jedoch ausblieb.
„Dürfen wir reinkommen?“, fügte er schließlich unsicher hinzu.
Statt einer Antwort ging die Tür wieder zu, und die Ermittler tauschten einen Blick, der eine Mischung aus Unverständnis und Belustigung verriet. Dann hörten sie das Geräusch der Kette, und schließlich wurde ein zweites Mal
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