Die Eisbärin (German Edition)
geöffnet.
„Ich habe mir gleich gedacht, dass Sie es sind“, sagte die Frau und winkte sie freundlich herein. „Kommen Sie, man erwartet Sie bereits.“
Bergmann und Klein folgten ihr durch einen geräumigen, offenen Flur. Das Düstere der Außenfassade wich im Innern hellen und freundlichen Farben. Die modernen Strahler in den hohen Decken waren gedimmt und tauchten den Flur in ein angenehmes Licht. Der glänzende Parkettboden verströmte den Duft von frischem Wachs. Klein atmete tief ein und bemerkte, dass sich ein rauchig-würziger Duft untermischte. Irgendwo im Haus brannte ein Kaminfeuer. Das ungute Gefühl, das sich außerhalb der dicken Mauern eingestellt hatte, wich von ihm, während die Wärme in seinen Körper hineinströmte.
Die Frau ging weiter und öffnete schließlich eine der zahlreichen Türen. Doch anstatt einzutreten, machte sie einen flinken Schritt zur Seite, stellte sich neben den Rahmen und nickte den Besuchern freundlich zu. Klein betrat den Raum als Erster und stellte fest, dass das Haus noch geräumiger war, als es von außen schien. Die Ölgemälde an den Wänden teilten sich den Platz mit gerahmten Urkunden und Fotos. Ein Schreibtisch am Ende des Raumes wurde auf beiden Seiten von gewaltigen Bücherregalen flankiert. Dann erst fiel Kleins Blick auf die kleine, ausgemergelte Gestalt in der Mitte des Raumes. Alois Weinheimer saß im Rollstuhl und schenkte seinen Gästen ein dünnes Lächeln.
„Gefällt es Ihnen?“, fragte er, und Klein war überrascht angesichts des festen Klangs seiner Stimme. Weinheimer trug ein weißes, kurzärmeliges Hemd unter einem dunkelblauen Pullunder. Über seinen Beinen lag eine Wolldecke, auf der seine gefalteten Hände ruhten. Das schneeweiße, gescheitelte Haar war ungewöhnlich dicht. Seine Augen lagen in tiefen Höhlen, und die eingefallenen Wangen unterstrichen seine dürre Gestalt.
„Ja“, sagte Klein, „es gefällt mir.“
Er ging auf Weinheimer zu und stellte sich vor. In dem Moment, in dem er ihm seine Hand reichte, stockte er kurz. Er wusste nicht, in welchem Ausmaß Weinheimer von der Lähmung betroffen war, und spürte große Erleichterung, als sich ihm die fleckige, knochige Hand entgegenstreckte. Der Händedruck des alten Mannes war ebenso fest wie seine Stimme. Bergmann trat aus dem Hintergrund und tat es ihm gleich, doch Klein spürte, dass ihr die Situation nicht sonderlich behagte.
„Setzen Sie sich doch“, sagte Weinheimer und deutete auf die beiden Ledersessel auf der gegenüberliegenden Seite des niedrigen Glastisches. Klein ließ sich in den Sessel gleiten, strich mit den Fingern über die glatte, kühle Oberfläche und ertappte sich dabei, wie er den Wert des Sessels schätzte. Sein Monatsgehalt würde für eine Anschaffung wohl nicht ausreichen.
„Verzeihen Sie meine Neugier“, begann Weinheimer das Gespräch, „aber ich bin unsäglich gespannt, was Sie zu mir führt.“
Klein musste sich zwingen, seine entspannte Position aufzugeben, und beugte sich ein Stück nach vorn.
„Wie ich am Telefon bereits angekündigt habe, handelt es sich bedauerlicherweise um keinen erfreulichen Anlass.“
„Das tut es in der Regel selten, wenn die Kriminalpolizei zu Besuch kommt.“
Die Art, wie Weinheimer ihn aus seinen wachsamen, eisgrauen Augen musterte, irritierte Klein. Dieser Mann ist auf der Hut, ging es ihm durch den Kopf.
„Sie haben völlig recht“, legte Klein die Karten auf den Tisch. „Es geht um einen Mordfall, der sich vor einigen Wochen in unserem Zuständigkeitsbereich ereignet hat.“
Weinheimer zog eine Augenbraue hoch.
„Ein Mordfall, sagen Sie. Und die Ermittlungen haben Sie jetzt zu mir geführt?“
Weinheimer war alt, 86 Jahre, wie Klein wusste, aber sein Geist war wach. Die Tatsache, dass es sich um ein Kapitaldelikt handelte, schien ihn nicht sonderlich zu beeindrucken.
„Um genau zu sein“, erläuterte Klein, „ist der Mord erst letzte Woche bekannt geworden. Wir stehen mit unseren Ermittlungen noch ganz am Anfang.“
„Dann finde ich es umso erstaunlicher, dass Sie nun vor mir sitzen.“ Weinheimer überlegte kurz. „Ein Angehöriger kann es nicht sein. Bekannte und Freunde schließe ich ebenso aus. Also, wer ist es?“
Klein folgte dem plötzlichen Impuls, sein Gegenüber noch ein wenig länger zu beobachten.
„Es ist jemand, mit dem Sie eventuell beruflich zu tun hatten, vor vielen Jahren.“
Weinheimer runzelte die Stirn.
„Dann können es Hunderte sein“, stellte er fest. „Aber
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