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Die eisblaue Spur

Die eisblaue Spur

Titel: Die eisblaue Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurðardóttir
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Gähnen sein
Essen hinunterzuschlucken, und Friðrikka war eingenickt.
Eyjólfur war nach dem Essen sofort auf sein Zimmer gegangen,
während die anderen sich im Aufenthaltsraum einfanden, alle,
außer Bella, die den Abwasch machen musste. Vielleicht war
dieses ungewöhnliche Herdenverhalten auf die allgemeine
Müdigkeit zurückzuführen.
    »Können wir nicht
früher nach Hause fahren?« Friðrikka wirkte
völlig erschlagen, ihre Haut war fahl, und sie hatte dunkle
Ringe unter den Augen. »Es war ein Fehler,
herzukommen.«
    »Es dauert ja nicht mehr
lange«, murmelte der Arzt. Er schaute wieder zum Fenster, wo
die Topfpflanze stand, und starrte die tiefschwarze Fensterscheibe
an. »Falls sich das Wetter einigermaßen
hält.« 
    »Das tut es
bestimmt«, sagte Dóra übertrieben optimistisch
und ignorierte das ferne Brausen des Windes. »Du schaffst es
doch, alles durchzusehen, oder?«
    Friðrikka nickte
betrübt. »Ja, ja, das meiste schaffe ich morgen, und den
Rest kopiere ich einfach.« Als es um die Arbeit ging, wirkte
sie schon etwas munterer. »Es geht ziemlich schnell. Das Team
hat kaum etwas geschafft. Man hätte die Arbeit nach dem
Jahreswechsel gar nicht erst wieder aufnehmen sollen.«
Triumphierend fügte sie hinzu: »Das hab ich denen ja oft
genug gesagt.«
    Dóra erinnerte sich an
einen Hinweis in den Unterlagen, dass es in den ersten vier Monaten
des Jahres kaum möglich sei, in dem Gebiet zu arbeiten.
»Warum wurde denn nach dem Jahreswechsel überhaupt
weitergearbeitet? Wegen der Verzögerung?«
    »Ja, das nehme ich
an«, antwortete Friðrikka. »Bevor ich
gekündigt habe, war die Rede davon. Das hat
verständlicherweise keine große Begeisterung
hervorgerufen. Einer der Gründe, warum die Leute sich zu
diesem Job bereit erklärt haben, war die lange Winterpause.
Bei mir war das nach Oddný Hildurs Verschwinden der Tropfen,
der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Ich war einfach
nicht bereit, für diesen unmöglichen Job noch mehr auf
mich zu nehmen.«
    Alvar stand umständlich
auf. Er sah so aus, als habe ihn Friðrikkas negative
Einstellung persönlich beleidigt. »Ich gehe
schlafen.«
    »Ach«, sagte der
Arzt, »ich wollte euch doch noch auf ein Glas
einladen.« Er schlug mit beiden Händen auf die
Stuhllehnen. »Oder wollt ihr alle schon ins
Bett?«
    Alvar blieb verlegen neben dem
Sofa stehen. Offensichtlich lechzte er nach einem Drink und
hätte die letzten Minuten am liebsten zurückgespult.
»Tja, vielleicht bleibe ich dann doch noch einen
Moment«, sagte er und sank langsam wieder aufs Sofa.
»So eilig ist ja nun auch wieder nicht.«
    Dóra hütete sich
davor, über den armen Mann zu lachen – in Anbetracht
seiner Einkäufe auf dem Flughafen. »Ich bin
dabei.« Sie lächelte dem Arzt zu. »Ich hab noch
Lakritzschnaps, falls jemand möchte.« Matthias
schüttelte sich, stand aber dennoch auf, um die Flasche zu
holen, die er genauso abstoßend fand wie Schnaps mit
Popcorn-Geschmack. Der Arzt folgte ihm prompt, und Dóra
vermutete, dass die beiden auf dem Weg durch den Flur über die
Blutflecken auf dem Kissen sprechen würden.
    Nachdem sie die Flecken von
allen Seiten begutachtet hatten, hatte Dóra Matthias wieder
ins Büro geschleppt, um ihm die alten Fotos zu zeigen und ihn
davon zu überzeugen, wie unglaublich ähnlich sie den
Flecken in den Betten der unglückseligen Leute sahen, die
versucht hatten, sich in der Gegend niederzulassen. Matthias musste
zugeben, dass die Ähnlichkeit verblüffend war, und bevor
sie zum Abendessen gingen, zeigten sie dem Arzt das Blut und die
Fotos. Finnbogi konnte im Grunde nicht viel dazu sagen und hielt
die Ähnlichkeit für Zufall. Dóra versuchte, ihm
klarzumachen, dass jemand aus unbekannten Gründen versucht
hatte, die Situation in den Zelten nachzustellen. Matthias und sie
waren sich allerdings darüber einig, dass nichts dagegen
sprach, dass die ersten Siedler tatsächlich verhungert waren.
Warum sollten sie ermordet worden sein? Wer hätte ihnen etwas
antun sollen? Es hatte keine Konflikte mit anderen Dörfern
gegeben. Auf Dóras Frage, ob Hungertod innere Blutungen im
Kopf verursachen würde, meinte der Arzt, die Flecken auf den
Fotos seien vermutlich gar kein Blut, sondern nur irgendein Dreck.
Bei Gewaltanwendung hätten die Blutflecken größer
und zahlreicher sein müssen.
    Als Bella nach dem Abwasch in
den Aufenthaltsraum kam, war sie nicht gerade bester Laune, was
Dóra gut verstehen konnte. Man musste erst Schnee schmelzen,
so dass es ewig

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