Die eisblaue Spur
einen Moment zu vergessen, und
jetzt fängst du wieder damit an. Ich weiß ja nicht, wie
es den anderen geht, aber ich möchte Bjarki da draußen
nicht begegnen, weder tot noch lebendig.« Sie
verstummte.
Im selben Moment flackerte
plötzlich die Deckenlampe. Ein lautes Knallen ertönte,
und draußen wurde es taghell. »Um Himmels
willen!« Alvar, der am nächsten beim Fenster saß,
sprang auf und schirmte seine Augen ab. Friðrikka stieß
nur einen leisen Schrei aus, und Eyjólfur umkrallte mit
beiden Händen die Armlehnen seines Stuhls, bis seine
Knöchel weiß wurden. Dóra, Matthias, Bella und
Finnbogi reagierten weniger geschockt als die anderen.
»Was war das?«,
fragte Dóra, als niemand etwas sagte. »Ein
Auto?« Vielleicht kamen die Hubschrauberpiloten sie mit dem
Auto abholen.
Friðrikka atmete heftig.
»Das ist das Flutlicht, das nach Oddný Hildurs
Verschwinden angebracht wurde. Auf Vorschlag des
Wachmanns.«
»Und?«, fragte der
Arzt.
»Es geht an, wenn jemand
an den Bewegungsmeldern vorbeigeht. Die sind in kleinen
Pflöcken um das Camp herum aufgestellt worden. Um
Eisbären und unwillkommene Gäste
abzuschrecken.«
»Du meinst, da
draußen ist ein Eisbär?« Der Lakritzschnaps schien
seine Wirkung nicht zu verfehlen, denn Dóra war freudig
erregt bei der Vorstellung, einen Eisbären zu sehen. Sie stand
auf, ging zum Fenster, drückte ihre Nase dagegen und starrte
hinaus. Der Schnee wurde von Scheinwerfern, die auf zwei hohen
Masten angebracht waren, hell erleuchtet. Die hatte Dóra
noch gar nicht bemerkt.
»Komm vom Fenster
weg!« Eyjólfur machte ein ernstes Gesicht. » Das
ist bestimmt kein Eisbär!«
»Woher willst du das
wissen?«, fragte der Arzt, der ebenfalls
hinausschaute.
Dóra presste ihre Nase an
die kühle Fensterscheibe. »Was soll’s denn sonst
sein?« Schlagartig war sie wieder nüchtern. Sie sah die
Blutflecken auf dem Kissen des Bohrmanns und stellte sich vor, dass
das Flutlicht damals, kurz nachdem er begonnen hatte zu bluten,
ebenfalls angegangen war.
»Das ist kein Tier.«
Friðrikka strich sich mit der Hand durch ihr rotes Haar. Es war
inzwischen so schmutzig, dass es in alle Richtungen abstand.
»Das System war doch gar nicht eingeschaltet. Ich hatte es
schon ganz vergessen. Man muss es erst einschalten, und das tun
Eisbären nicht.«
Jetzt verstanden alle, warum
Friðrikka und Eyjólfur so entsetzt reagiert hatten.
»Wo schaltet man das denn ein?« Matthias war
aufgestanden und trotz Eyjólfurs Warnung ans Fenster
getreten. Er spähte hinaus. » Und wo sind die
Bewegungsmelder?«
»Zwischen den Masten. Man
schaltet es im Bürogebäude ein. Es ist ziemlich
kompliziert, das macht man nicht einfach so aus Versehen. Die
Anlage befindet sich unter der Treppe.« Eyjólfur
schaute zu Friðrikka. »Hast du das System
aktiviert?«
»Nein, natürlich
nicht.« Friðrikka schien immer noch unter Schock zu
stehen. »Ich hab überhaupt nicht mehr daran
gedacht.« Der Konflikt zwischen den beiden begann wieder
hochzukochen. »Willst du etwa auch behaupten, ich hätte
das Flutlicht ausgelöst? Ich hab die ganze Zeit hier gesessen.
Genau wie du.«
»Das war keiner von
uns«, fiel Matthias ihr ins Wort und schaute wieder hinaus.
»Wahrscheinlich ist es von einem Tier ausgelöst worden.
Als das Licht anging, muss es weggerannt sein.« Er sah von
einem zum anderen. »Hat jemand die Anlage im
Bürogebäude angefasst?« Keiner sagte etwas.
Matthias schaute ein letztes Mal hinaus und suchte die leblose
Umgebung ab, bis das Flutlicht plötzlich wieder ausging, so
dass er sich vor seinem eigenen Spiegelbild erschrak. »Das
muss was mit dem Stromausfall zu tun haben. Wahrscheinlich war die
Anlage die ganze Zeit an und hat gerade erst wieder Strom
bekommen.«
Alle begrüßten diese
Erklärung, weil sie froh waren, überhaupt irgendeine
Erklärung zu haben, wie unwahrscheinlich sie auch klingen
mochte. Ein allgemeines Murmeln von »klar« und
»natürlich« setzte ein, um jegliche Zweifel an
diesen beruhigenden Worten zu zerstreuen.
Verlegen setzten sie sich wieder
und versuchten, die fröhliche Stimmung zurückzuholen, die
nie wirklich geherrscht hatte. Die Flaschen waren schnell leer, und
es dauerte nicht lange, bis Alvar unruhig auf seinem Platz
herumrutschte. Friðrikka schien auch gerne noch etwas trinken
zu wollen und stand auf, mit den Worten, sie würde mal
nachsehen, ob der Wein für festliche Anlässe noch da sei.
»War vom þorrablót nicht noch was übrig,
Eyjólfur?«
»Keine
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