Die eisblaue Spur
gebaut, so weit
weg wie auf einem fremden Planeten.« Er schüttelte
langsam den Kopf, so als wünsche er sich, sie wären
wieder sechzehn und voller Energie, nicht zwei alte Männer,
die die Kontrolle über das wirklich Wichtige verloren hatten.
»Da kann man nichts machen.«
»Was hat sich denn
geändert, seit meine Tochter Usinna dort unterwegs war?«
Das Herz des Jägers krampfte sich zusammen, und für einen
Augenblick spielte die unerträgliche Hitze keine Rolle mehr.
» Sag es mir!«
Blitzschnell bildete sich ein
großer Schweißtropfen an Sikkis Haaransatz und rann ihm
über die Stirn. »Gib mir nicht die Schuld
daran!«
»Das tue ich nicht, Sikki.
Ich frage dich einfach nur, was sich geändert hat. Damals hast
du deine Pflicht noch ernst genommen.« Er konnte einfach
nicht mehr weitersprechen. Der Gang des jungen Mädchens von
vorhin hatte alte Wunden wieder aufgerissen.
Sikki knetete mit seinen dicken,
kräftigen Händen die Stuhllehne. »Das habe ich dir
doch eben gesagt. Es löst sich alles auf. Ohne Bergwerk wird
es kein Dorf mehr geben. Alle ziehen weg. Die meisten haben noch
Angst vor dem Camp, aber das wird sich ändern, und dann
können die jungen Leute wieder erhobenen Hauptes ihrer Arbeit
nachgehen. Glaub mir, wenn daraus nichts wird, werden alle
wegziehen. Vielleicht nicht morgen, aber nach und
nach.«
»Was spielt das denn
für eine Rolle?« Der Jäger spuckte die Worte aus,
wütender, als beabsichtigt. »Wenn die Leute so leben
wollen wie in der Stadt, dann brauchen sie nicht hier zu wohnen. In
Nuuk gibt es genug Arbeit.«
Darauf hatte Sikki keine
Antwort. »Es wird alles gut. Vertrau mir.«
»So, wie ich dir bei
Usinna vertraut habe?«, sagte der Jäger leise.
»Das hat sie das Leben gekostet. Wie viele sollen noch
umkommen, bis selbst dir das Bergwerk zu teuer erkauft
ist?«
»Es reicht jetzt.«
Sikki stand mit geröteten Wangen auf. »Man kann einfach
nicht mit dir darüber reden. Du verstehst das
nicht.«
Der Jäger folgte dem
Beispiel seines alten Freundes und erhob sich ebenfalls. »Ich
verstehe das vollkommen. Du bist derjenige, der nichts
versteht.« Er verließ das Wohnzimmer, ohne Sikkis Frau,
die mit großen Augen im Flur stand, eines Blickes zu
würdigen. Sie hatte gelauscht, aber das war ihm egal. Sikki
folgte ihm in den Vorraum, wo man vor lauter herumliegenden Schuhen
kaum treten konnte. Als der Jäger die Tür öffnete,
sagte Sikki, der das letzte Wort haben wollte, ruhig: »Du
hattest es in der Hand, sie zu retten, Igimaq. Am Ende dachte sie
sogar, du würdest es tun, aber dir waren deine Ehre und alte,
überholte Verpflichtungen gegenüber den Vorvätern
wichtiger. Vergiss das nicht, wenn du mich
verurteilst.«
Als ob der Jäger das jemals
vergessen würde.
16.
Kapitel
21. März 2008
»Der Motorschlitten und
die Autos sind nicht von alleine kaputtgegangen. Wer kann das
gemacht haben?« Alvar richtete seine Worte an den Blumentopf
auf der Fensterbank im Aufenthaltsraum. Die Pflanze hatte eindeutig
schon bessere Zeiten erlebt. Sie lag auf der Seite, bräunlich
und verwelkt. Alle Augen richteten sich auf das unansehnliche
Gewächs, so als sei von ihm eine Antwort zu erwarten.
»Ich glaube, dass jemand was in die Tanks gefüllt hat,
Zucker oder so. Dadurch sind die Motoren beim Anlassen
beschädigt worden. Gab es nicht auch Vermutungen, jemand
hätte sich an den Maschinen zu schaffen gemacht?« Alvar
drehte sich zu den anderen, ließ seinen Blick über die
Gruppe schweifen, ohne einem von ihnen direkt in die Augen zu
schauen, und musterte dann seine Hände. »Das kommt mir
jedenfalls ganz so vor.«
»Alvar, du musst mitkommen
und Fotos machen«, sage Dóra. »Außerdem
wäre es gut, wenn du einen kurzen Bericht darüber
schreiben könntest, was du rausgefunden hast.« Sie
wandte sich an Matthias. »Fragt sich, ob wir die Fahrzeuge
nicht nach Island transportieren und uns das von einem
Automechaniker bestätigen lassen sollten. Oder wir ordern
einen hierher.«
Matthias nickte und machte einen
halbherzigen Versuch, ein Gähnen zu unterdrücken. Er war
nach dem Abendessen sehr still gewesen. Vermutlich machte sich der
Schlafmangel der letzten Nächte bemerkbar. Und das
eintönige Essen war nicht gerade motivierend – Nudeln
mit Soße aus der Dose, die nach nichts schmeckte, so dass sie
im Grunde auch Milch über die Nudeln hätten gießen
können. Matthias war nicht der Einzige, der müde war. Der
Arzt hatte Schwierigkeiten gehabt, vor lauter
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