Die Eiserne Festung - 7
das Volk von Gletscherherz - Adelige (die wenigen, die es gab) und Bürgerliche gleichermaßen - wirklich begriffen hatte, wie sehr er sich um sie sorgte. Andere Erzbischöfe, andere Vikare kümmerten sich nicht um derlei Kleinigkeiten. Selbst die besten von ihnen waren nur allzu oft der Ansicht, ihre Aufgabe wäre mehr als erfüllt, wenn sie den Zehnten in erträglichem Rahmen hielten und das Volk ein Auskommen habe. Oder wenn sie veranlassten, dass genügend Priester in ihre Erzdiözesen versetzt wurden, um ihre Kirchen und ihre Klöster zu füllen. Oder wenn sie darauf achteten, dass ihre Bischof-Vollstrecker die Gemeinde nicht zu sehr ausbluten ließen. Diese Erzbischöfe und Vikare waren keine Dorfpriester mehr. Gott hatte sie zu einer größeren und ungleich wichtigeren Aufgabe berufen: der Verwaltung Seiner Kirche. Es gab ja auch reichlich niedere Priester, die sich um die Gemeinde jener Erzbischöfe und Vikare kümmern konnten. Sie selbst hatten dafür keine Zeit mehr.
Genau deswegen hat diese ganze Geschichte in Charis sie alle so völlig überrascht, dachte Cahnyr grimmig. Er schüttelte den Kopf, den Blick auf den Horizont gerichtet. Sein Blick war jetzt härter und kälter als die Felsen, der Schnee und das Eis, auf die er fiel. Diese Idioten! Diese Narren! Sie spotten nur über Bemühungen, Mutter Kirche zu reformieren, weil doch alles prima laufe ... ja, für sie! Für ihre Familien. Für ihre Macht und ihren Reichtum ist gesorgt. Und wenn das mit der Kirche für sie prima läuft, dann muss es doch ganz offensichtlich für alle prima laufen. Oder zumindest für alle, die irgendwie wichtig sind. Und in einem haben sie Recht: Sie sind keine Priester mehr ... Dabei begreifen sie nicht, zu welcher Abscheulichkeit vor Gott ein Bischofoder ein Vikar wird, wenn er vergisst, dass er vor allen Dingen ein Priester ist. Ein Pastor, ein Hirte, ein Beschützer und Lehrer! Wenn das Priesteramt im Namen der Macht aufgegeben wird!
Cahnyr zwang sich dazu, seinen Zorn einzudämmen. Er zwang sich dazu, tief durchzuatmen. Dann schüttelte er kurz den Kopf und wandte sich vom Fenster ab. Er ging zum Kamin hinüber, öffnete die Klappe und legte mit einer Zange einige neue Kohlestückchen auf den Rost. Er lauschte dem heftigen Knistern, als die Flammen über die Oberfläche des neuen Brennstoffs züngelten, und wärmte sich einige Augenblicke lang die Hände. Dann schloss er die Klappe wieder, kehrte an seinen Schreibtisch zurück und setzte sich.
Er wusste, warum sein Zorn über die Verderber von Mutter Kirche in letzter Zeit so leicht hochkochte, ebenso aufloderte und knisterte wie die Flammen im Kamin. Er wusste auch, dass sein Zorn nicht mehr nur aus Entrüstung genährt wurde. Nein, er war mittlerweile deutlich gerichteter, und sehr viel ... persönlicher.
Cahnyr schloss die Augen, schlug vor der Brust das Zeichen des Szepters und murmelte ein weiteres, tief empfundenes Gebet für seine Freunde in Zion. Für all die anderen Mitglieder des ›Kreises‹, die er hatte zurücklassen müssen.
Er fragte sich, ob Samyl Wylsynn schon herausgefunden hatte, wer der Verräter war. Hatte er die tödliche Schwäche in den Festungsmauern des ›Kreises‹ entdeckt? Oder tappte er immer noch im Dunkeln? War er immer noch gezwungen, all sein Wissen für sich zu behalten, damit Clyntahn auf keinen Fall begriff, dass er wusste, was kommen würde - und nur um so rascher und gnadenloser zuschlug?
Das sollte ich nicht sagen, o Herr, dachte der Erzbischof, aber ich danke Dir, dass du mir Samyls Bürde erspart hast. Ich bitte Dich, bei ihm zu sein und ihn zu beschützen, und ebenso alle meine Brüder. Wenn sie errettet werden können, dann bitte ich Dich, sie zu erretten. Denn ich liebe sie. Und sie sind solch gute Menschen, die Dich aufrichtig lieben. Doch Du bist der Herr und Schöpfer dieser Welt. Du allein kennst Deinen wahren Plan. Und so kann ich Dich nur bitten, mir in den kommenden Tagen Kraft zu geben und mir dabei zu helfen, mich stets ganz gehorsam Deinem Plan zu fügen.
Cahnyr öffnete die Augen wieder und lehnte sich in seinem Sessel zurück. Dieser Sessel war das einzige wahre Luxusgut, das sich Cahnyr hier gestattete - die einzige Extravaganz. Genauer: es war die einzige Extravaganz, die anzunehmen er sich gestattet hatte. Vor acht Jahren hatte Gharth Gorjah, sein langjähriger Privatsekretär, ihm erzählt, das Volk seiner Erzdiözese habe die Absicht, ihm ein ganz besonderes Mittwintergeschenk zu machen. Ob der
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