Die Eiserne Festung - 7
Märtyrers. So ungern ich das zugebe, aber ich bin zu dem Schluss gekommen, dass unsere einzige Hoffnung in der Kirche von Charis liegt. Na ja, nicht gerade unsere Hoffnung, da ich mir nicht vorstellen kann, wie Staynair oder Cayleb den ›Kreis‹ retten könnten, selbst wenn sie wüssten, in welcher Klemme wir stecken. Aber es ist unsere einzige Hoffnung, das zu bewirken, was wir ohnehin geplant hatten. Hier im Tempel ist die Verderbtheit schon zu weit fortgeschritten. Clyntahn und Trynair - aber vor allem Clyntahn - sind einfach zu korrupt. Sie sind bereit, selbst aktiv dafür zu sorgen, genau das Übel aufrechtzuerhalten, das Mutter Kirche in eine Abscheulichkeit verwandelt. Und selbst wenn wir jemals ernstlich darauf haben hoffen können, sie aufzuhalten, ist es damit doch jetzt vorbei. Die Zeit ist uns ausgegangen. Also ist die einzige Hoffnung, die ich jetzt noch sehe, dass die Charisianer dabei erfolgreich sind, sie herauszufordern. Dass das Beispiel, das Charis gibt, dieser Angriff von außen, eine Reformation von innen heraus erzwingen wird. Was das letztendlich für die Allgemeingültigkeit von Mutter Kirche bedeuten wird, vermag ich nicht einzuschätzen. Aber ich bin zu folgendem Schluss gekommen: Es ist wichtiger, dass sie wieder Gottes Kirche ist, selbst wenn sie dabei in wer weiß wie viele Teile zersplittert wird! Es ist wichtiger, dass das geschieht, als dass sie eine unzerstörte Einheit bleibt, die im Bann der Mächte der Finsternis steht!«
Cahnyr hatte den Schmerz in Wylsynns Augen gesehen. Er hatte bemerkt, wie sehr ihn dieses Eingeständnis verbitterte. Da hatte Cahnyr begriffen, dass Wylsynn auch für ihn gesprochen hatte. Seine ganze Seele erzitterte angesichts der Vorstellung einer Kirchenspaltung, angesichts dieses Albtraums eines Glaubenskriegs - angesichts der unfassbaren Reichweite, die Fehler in den Lehren der Kirche haben mochten. Bald schon würde ein Mahlstrom die ganze Welt erfassen, wenn Mutter Kirche in verschiedenen Sekten aufgespalten würde, die miteinander im Zwist lagen. Und doch war das immer noch besser, als miterleben zu müssen, wie Gottes Eigene Kirche tiefer und tiefer in der Korruption versank. Denn das war der schlimmste und finsterste Fehler in der Lehre der Kirche, den sich Zhasyn Cahnyr überhaupt vorstellen konnte.
Er hatte feststellen müssen, dass er Wylsynns Analyse der Lage widerstrebend zustimmen musste. Er hatte auch verstanden, warum Wylsynn das Ganze so antrieb. Dennoch wusste er nicht, wie er es anstellen sollte, letztendlich nicht doch der Inquisition in die Hände zu fallen. Gewiss, wahrscheinlich hätte er in Gletscherherz zumindest geringfügig bessere Erfolgsaussichten als im Tempel selbst. Aber das hieß nicht viel.
Er war sich sicher, dass Pater Bryahn Teagmahn, der Intendant von Gletscherherz, zumindest grob über Clyntahns Vermutung informiert war. Der Intendant war, wie das bei allen Intendanten der Fall war, der Erzdiözese Gletscherherz durch das Offizium der Inquisition zugewiesen worden. Teagmahn gehörte, ebenfalls wie es bei allen Intendanten der Fall war, dem Schueler-Orden an. Darüber hinaus war er ein kalter, unnachgiebiger Zuchtmeister. Schon mehrmals hatte Cahnyr versucht, ihn ablösen zu lassen. Jedes Mal hatte man ihm die Bitte verweigert. Das war gelinde gesagt ungewöhnlich. Es verriet, dass man in den höchsten Kreisen der Inquisition Interesse daran hatte, Teagmahn hier zu behalten. Das wiederum bedeutete, dass für Cahnyr keinerlei Zweifel daran bestand, wem ›sein‹ Intendant die Treue hielt. Doch so traurig das auch war: Teagmahn war nicht gerade der geschickteste Agent, den Clyntahn hätte auswählen können. Vielleicht war der Großinquisitor der Ansicht gewesen, hinreichend ausgeprägte Treue und Hingabe würden einen gewissen Mangel an Scharfsinn ausgleichen. Oder war er zu dem Schluss gekommen, es bedürfe nur mäßiger Kompetenz, um einen so offenkundig verwirrten ›Exzentriker‹ wie Cahnyr im Auge zu behalten? Was auch immer der Großinquisitor sich dabei gedacht haben mochte, Teagmahn hatte in letzter Zeit in äußerst ungeschickter Art und Weise versucht, sich das Misstrauen nicht anmerken zu lassen, das er seinem formalen Vorgesetzten gegenüber empfand. Er war ›aufmerksamer‹ denn je, suchte den Erzbischof immer und immer wieder auf, erkundigte sich ständig nach ihm und vergewisserte sich unablässig, dass Cahnyr ›seinem‹ treuen Intendanten keinerlei unerwartete Aufgaben zuweisen und auch sonst
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