Die Eiserne Festung - 7
nichts von ihm verlangen konnte. Wenn der dahinter stehende Gedanke war, einen gewissen Erzbischof im Auge zu behalten, dann war es etwa so subtil, wie einen Ziegelstein durch eine Fensterscheibe zu werfen. Aber bedauerlicherweise machte Teagmahns Mangel an Finesse sein Handeln keinen Deut weniger effektiv.
Schlimmer noch: Seine Technik der ›rohen Gewalt‹ verriet Cahnyr eine ganze Menge. Es sagte ihm, dass Clyntahn sich recht sicher war, den Erzbischof fest im Griff zu haben - und ihn jederzeit vernichten zu können, wann immer das erforderlich werden sollte. Das bedeutete, Teagmahn würde wachsam jede Absprache, die Cahnyr traf, skeptisch beäugen. Tairys war klein genug, dass es nicht schwierig für den Intendanten und die Inquisition wäre, jeglichen seiner Schritte nachzuverfolgen. Cahnyr hatte bei seiner Abreise aus Zion absolut keine Ahnung gehabt, was er unternehmen sollte, sobald er seine Erzdiözese erst einmal erreicht hätte. Nicht einmal einen Hauch von einem Plan hatte er sich zurechtlegen können.
Das war einer der Gründe, weswegen er so überrascht gewesen war, als er hier eintraf und feststellen musste, dass er anscheinend nicht der Einzige war, der darüber nachgedacht hatte.
Nun griff er in die Innentasche seiner Soutane und holte erneut den Brief hervor.
Cahnyr wusste nicht, wer ihm diesen Brief geschickt hatte, und auch die Handschrift kam ihm nicht bekannt vor. Er hielt es durchaus für möglich, dass dieses Schreiben auf Clyntahns Geheiß hin abgeschickt worden war, um den Erzbischof von Gletscherherz dazu zu bewegen, endlich etwas Falsches zu tun. Dann hätte man eine gute Erklärung, warum er festgenommen würde, wenn die Zeit gekommen wäre. Aber eigentlich erschien Cahnyr ein solches Szenario unwahrscheinlich. Eine derart subtile Vorgehensweise ging weit über das hinaus, was Clyntahn oder die Inquisition bislang auf ihn zu verschwenden bereit gewesen waren.
Abgesehen davon bestand für den Großinquisitor überhaupt kein Anlass, Cahnyr zu irgendwelchen Schritten zu bewegen, mit denen er sich selbst belasten würde, oder auch nur irgendwelche ›Beweise‹ zu fälschen. In seiner Funktion als Großinquisitor war Clyntahn jederzeit berechtigt, Cahnyrs Festnahme anzuordnen, wann immer es ihm gefiel. Er konnte (und würde) sich gewiss auf das Geschick und die Hartnäckigkeit seiner Inquisitoren verlassen, letztendlich genau die ›Beweismittel‹ zu erhalten, die ihm erforderlich erschienen. Angesichts dessen, und angesichts der Verachtung, die er Cahnyr ganz offen entgegenbrachte, wäre eine derart komplizierte, subtile Falle für den Großinquisitor gänzlich untypisch.
Damit blieb die verwirrende Frage, wer sonst dieses Schreiben abgefasst haben könnte.
Cahnyr war sich sicher, dass dieser Brief nicht von Wylsynn stammte. Erstens schon, weil dieser Brief vor Cahnyr in Gletscherherz eingetroffen war. Hätte Wylsynn ihn den Inhalt dieses Briefes wissen lassen wollen, wäre dies vor Cahnyrs Abreise in einem persönlichen Gespräch geschehen. Der Umweg über einen Brief wäre unnötig gewesen. Zweitens: hätte Wylsynn dieses Schreiben doch abgeschickt, und zwar nach Cahnyrs Abreise, hätte er den Text zweifellos verschlüsselt. Er hätte nicht so viele Worte gemacht, geheimnisvoll und rätselhaft geklungen.
Cahnyr faltete das Blatt Papier auseinander. Mit zusammengekniffenen Augen las er den Brief erneut, Zeile für Zeile.
»Mir ist bewusst, dass Ihr derzeit Grund zur Sorge habt, Eure Eminenz. Dank eines gemeinsamen Freundes weiß ich auch, warum dem so ist. Weiterhin ist mir bewusst, dass Ihr keine Ahnung habt, wer ich bin, und ich könnte es Euch nicht verübeln, wenn Ihr Euch dafür entscheiden würdet, diesen Brief umgehend zu verbrennen. Tatsächlich wäre das vielleicht sogar die weiseste Entscheidung, auch wenn mir sehr recht wäre, wenn Ihr meine Zeilen vorher noch läset. Aber unser gemeinsamer Freund hat mir seine Besorgnis anvertraut. Ich denke, er war bereit, das zu tun, weil ich niemals ein Mitglied seines ›Inneren Kreises‹ war, wenn ich das so sagen darf. Trotzdem bin ich mir Eurer Hoffnungen und Eures Strebens bewusst ... und auch der Schwierigkeiten, denen Ihr Euch derzeit gegenüberseht. Möglicherweise vermag ich Euch zumindest bei einigen besagter Schwierigkeiten behilflich zu sein.
Ich nehme mir die Freiheit heraus, Euch einige unterschiedliche Möglichkeiten vorzuschlagen. In welchem Ausmaße sie sich werden verwirklichen lassen, hängt selbstverständlich
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