Die Eiserne Festung - 7
nötig!
Der Tag schien einfach nie genügend Stunden zu haben. Das galt natürlich für jeden Intendanten, selbst wenn er ganz normal in seinem Arbeitszimmer im Erzbischöflichen Palast arbeitete. Aber sah sich ein solcher Intendant gezwungen, sich heimlich mit seinen Pflichten zu befassen, damit die weltlichen Obrigkeiten, die doch eigentlich seinen Anweisungen hätten Folge leisten sollen, ihn nicht vor einen abtrünnigen ›Erzbischof‹ schleppten, musste es ja noch schlimmer werden!
Trotzdem, dachte er, ein schiefes Grinsen im Gesicht, gibt es dafür nicht immer einen Ausgleich? Dass die Semaphoren ausgefallen sind, beispielsweise. Er stieß ein Schnauben aus. Klar, ich muss mich ja nur um Kleinigkeiten sorgen, beispielsweise um die Verdammnis verlorener Seelen oder darum, gefangen genommen und wegen Hochverrats angeklagt, vielleicht gar hingerichtet zu werden - Kleinigkeiten eben! Aber wenigstens ist der verdammte Nachrichtenverkehr praktisch zum Erliegen gekommen!
Seine Mundwinkel zuckten ob dieses schwächlichen Versuchs, nicht den Humor zu verlieren. Doch es lag in diesem Gedanken mehr als nur ein Funken Wahrheit. In Sankt Zhustyn war er ebenso sicher wie sonst irgendwo im eroberten Corisande. Tatsächlich hatte er kaum zu befürchten, an die Obrigkeit verraten zu werden. Gut, ein letzter Rest von Risiko blieb, aber sei's drum! Während sich der Widerstand in der Stadt immer weiter ausbreitete, streckte Aidryn unablässig seine Fühler aus und fand stetig neue Informationswege. Das bedeutete allerdings, dass der Strom der eintreffenden Mitteilungen und Berichte stetig anwuchs. Dennoch hatte ihn der Verlust von Mutter Kirches Semaphoren gänzlich von den Ereignissen im restlichen Fürstentum abgeschnitten.
Die Hand voll Depeschen von Bischof-Vollstrecker Thomys Shylair waren von vertrauenswürdigen Kurieren geschmuggelt. Zumeist waren sie kurz und kryptisch. Im Vergleich zu der reibungslosen, fast ohne jeden Zeitverlust verlaufenden Kommunikation, die Aidryn vor dieser charisianischen Invasion gewohnt gewesen war, kam es ihm jetzt fast so vor, als sei er taub und blind. Das gefiel ihm überhaupt nicht, vor allem, weil er so wenig darüber erfuhr, was außerhalb von Manchyr vor sich ging.
Ja, ja, sagte er sich selbst, und dass nur, weil du Bischof Thomys überhaupt nicht zutraust, sich um so etwas zu kümmern! Er ist nun wirklich nicht der hellste Bischof, dem du jemals gedient hast, was? Aber wenigstens ist er fest entschlossen, tatsächlich irgendetwas zu tun, statt sich den Charisianern anzudienen, und das ist ja nun schließlich auch nicht zu verachten, Aidryn!
Das stimmte. Wenn man dem abgesetzten Bischof-Vollstrecker gegenüber gerecht bleiben wollte, musste man ihm eines zugestehen: Die Verbindungen, die er zu den Grafen Storm Keep und Deep Hollow sowie zu Baron Larchros geknüpft hatte, schienen vielversprechender, als Waimyn noch vor wenigen Monaten gedacht hätte. Natürlich kannte er keine Details darüber, wie Bischof-Vollstrecker Thomys und seine weltlichen Verbündeten miteinander kommunizierten. Auch von ihren Plänen wusste er nichts. Aber er hatte peinlich genau darauf geachtet, sie mit keinem Wort in seinen Berichten zu erwähnen. Eigentlich egal. Denn seine eigenen Anweisungen stammten vom Großinquisitor persönlich; sie waren ihm vorsichtshalber schon lange vor der charisianischen Invasion übermittelt worden. Shylair war, im Groben zumindest, über deren Inhalt informiert. Waimyn bezweifelte daher nicht, dass das Geplante den Anweisungen entspräche. Doch was auch immer sie im Schilde führen mochten: es änderte nichts an Waimyns Aufgabe.
Vikar Zhaspahr hat Recht, rief sich der Intendant erneut ins Gedächtnis zurück. Was hoch oben im Norden geschieht, ist gewiss wichtig, vielleicht sogar entscheidend. Aber was hier in Manchyr gerade jetzt passiert, ist noch viel wichtiger. Nicht nur, weil es die Hauptstadt ist, sondern weil es die größte Stadt im ganzen Fürstentum ist. Jede andere Stadt, jedes andere Dorf wird genau beobachten, was sich hier ereignet. Sobald der ›Regentschaftsrat‹ und Caylebs ›Vizekönig-General‹ hier nicht mehr alles im Griff haben, wird der Rest des Fürstentums sich ihnen deutlich eher entgegenstellen!
Nun beugte Waimyn sich wieder vor und griff nach dem nächsten Bericht. In mancherlei Hinsicht verabscheute er, die Schriftform wählen zu müssen. Gut, er achtete sorgsam darauf, seine Agenten nur mit Decknamen zu kennzeichnen (die ausschließlich
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