Die Eiserne See - Brook, M: Eiserne See
gewesen waren hineinzugehen. Für diese lag das Hammer & Chain nur dreißig Schritte weiter, und sie fanden ihren Mut häufig am Grunde eines Bierkrugs. Andere gingen wegen des billigen Essens dorthin – oder um sich zu prügeln. Was auch immer die Gäste suchten, wenn sie ins Hammer & Chain gingen, sie wurden wahrscheinlich eher hinausgeworfen, als dass sie auf eigenen Beinen das Lokal wieder verließen.
Doch niemand hätte es gewagt, den dunkelhaarigen Riesen hinauszuwerfen, der durch die Tür und ihr in den Weg trat.
Trahaearn.
Minas Magen krampfte sich augenblicklich genauso sehr zusammen, wie wenn sie einen Blick auf den Turm warf. Sie versuchte entschlossen weiterzugehen und nicht nach ihren Waffen zu greifen.
Himmel noch mal, sie wollte das nicht fühlen.
Sie atmete tief durch und versuchte sich zu beruhigen. Was sie empfand, war keine Furcht, egal, wie imposant er war, und obwohl sie sicher war, dass er auf sie gewartet hatte.
Auf keinen Fall war es Furcht. Es war eher Abneigung.
Als Mina stehen blieb, schlüpfte der Junge, den sie zuvor gesehen hatte, breit grinsend hinter Trahaearn hervor, und Gold blitzte zwischen seinen kleinen Fingern, bevor es in seiner Tasche verschwand. Kein Botenjunge also, sondern ein kleiner Spion. Und der Herzog hatte tatsächlich auf sie gewartet. Jetzt blickte er von oben auf sie herab, und sein dunkler Blick suchte ihr Gesicht. Sie bot ihm nichts anderes als eine hochgezogene rechte Braue.
Seine Augen wurden schmal, als hätte sie ihn verärgert. Hatte er etwa einen Knicks erwartet? Oder dass sie ohnmächtig wurde? Er schwieg noch immer. Vielleicht hatte er vergessen, dass sein Rang verlangte, dass er als Erster sprach. Beinahe amüsiert hob sie nun die linke Braue.
»Inspektor Wentworth«, sagte er schließlich, und obwohl seine tiefe Stimme nicht laut klang, war sie deutlich zu vernehmen. Köpfe drehten sich in seine Richtung. Sämtliche Arbeiter einer Gruppe in ihrer Nähe blickten mit sowohl wachsamem als auch hoffnungsvollem Blick zu ihm hin, als hofften sie, dass er vielleicht Arbeit für sie hatte. Doch sie wirkten nicht überrascht, was Mina verriet, dass Trahaearn ein vertrautes Gesicht in der Narrow war.
Sie verneigte sich leicht. »Euer Hoheit.«
»Sie haben ihn noch immer nicht identifiziert.«
Es war keine Frage, und sie hatte keinen Zweifel daran, dass er über alles auf dem neuesten Stand war – und es bleiben würde. Wenn Trahaearn die Identität des Mannes kennen würde, wäre es nicht leicht, ihm stets einen Schritt voraus zu sein. Vielleicht war es das Beste, dass er hier war, so konnte Mina sehen, was er unternahm.
»Habe ich nicht«, sagte sie. »Ihr vielleicht?«
»Nein.«
»Habt Ihr vor, mir auf Schritt und Tritt zu folgen, bis wir ihn identifiziert haben?«
Er lächelte kurz, und es erinnerte sie an die Zeichnung eines Wolfs, die sie in einem Buch ihres Vaters gesehen hatte; er war mager und hungrig gewesen.
»Ja«, sagte er.
Ihre Belustigung schlug in Verärgerung um. »Ihr wisst, dass ich Euch nicht davon abhalten kann.«
»Ja.« Keine Schadenfreude. Nur eine Feststellung.
»Dann bitte ich Euch, Euch nicht einzumischen.«
Er blickte über die Schulter zum Haus des Schmieds . »Meine Einmischung erspart Ihnen das Warten – und dass Sie zu viel bezahlen.«
Kannte er den Schmied ? Oder ging Trahaearn davon aus, dass sein Ruf ihm eine Sonderbehandlung einbrachte?
Nicht dass es eine Rolle gespielt hätte. Das war es nicht, was sie gemeint hatte. Sie schüttelte den Kopf. »Wenn ich etwas finde, das Euch nicht gefällt … «
»Sie bitten mich, ihn nicht zu töten. Das kann ich nicht versprechen.«
Sie biss die Zähne zusammen. Sollte sie einen Piraten von der Notwendigkeit von Gesetz und Ordnung überzeugen? Genauso gut konnte sie mit dem Kopf gegen eine Backsteinwand schlagen.
»Na schön.« Sie ging um ihn herum und setzte ihren Weg zum Schmied fort. »Dann legen wir mal los und schauen, wer ihn zuerst schnappt: Ich, um ihn zu verhaften, oder Ihr, um Eure Art von Gerechtigkeit zu üben.«
»Keine Gerechtigkeit. Die interessiert mich nicht.« Trahaearn fiel neben ihr in Gleichschritt und ließ Newberry hinterhertrotten. »Aber ich beschütze nun einmal, was mir gehört.«
Und er zögerte nicht, das andere zu zerstören. »Und wenn dieser Mann nicht Euch gehört?«
»Dann gehört er Ihnen.«
Obwohl die Antwort genau das war, was sie hören wollte, runzelte Mina die Stirn. Die Entschlossenheit in seiner Stimme störte sie –
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