Die Eiserne See - Brook, M: Eiserne See
als hätte Trahaearn vor, die Ermittlungen bis zum Schluss zu begleiten, selbst wenn der Tote nichts mit ihm zu tun gehabt hätte. Argwöhnisch blickte sie ihn an und begegnete seinem Blick.
»Ich bin nicht nur gekommen, um die Identität des Toten festzustellen, Inspektor. Scarsdale hat mit gesagt, dass meine letzte Bemerkung Ihnen gegenüber gestern Abend … unbedacht gewesen ist.« Die Pause verriet, dass »unbedacht« Scarsdales Wortwahl gewesen sein musste. »Ich habe Sie verletzt. Das tut mir leid.«
Womöglich war die gesamte Erklärung auf Scarsdales Drängen hin geschehen. Trahaearn kam ihr nicht wie ein Mann vor, der sich häufig entschuldigte. Misstrauisch blickte sie ihn an. »Es tut Euch leid?«
Seine Kiefermuskeln verkrampften sich, bevor er sagte: »Ja.«
Es hatte ihn Überwindung gekostet. Mina hatte nicht vor, es ihm leichter zu machen.
»Ihr habt auf der Ehre meiner Mutter herumgetrampelt, nicht auf meiner. Ihre Reaktion nach meiner Geburt betraf nicht mich, sondern das, was die Horde mit ihr gemacht hatte. Wenn es Euch wirklich leid tut, dann macht es ihr gegenüber wieder gut – und unterstützt ihre Reformationsliga.«
Er runzelte die Stirn. »Ihre Liga wird nur wenige Probleme lösen.«
»Ihr habt recht«, sagte Mina und bemerkte seine Überraschung. »Aber sie schadet auch niemandem. Sie tritt ein für Verantwortung und Stabilität, und diejenigen, die das in der Ehe suchen, wollen wahrscheinlich auch heiraten.«
»Sie nicht?«
»Meine Situation war stets eine besondere.« Minas Blick visierte eine Gruppe von Arbeitern an, ein Großteil von ihnen Frauen. Wahrscheinlich lebten ein paar von ihnen zusammen – und zu Hause passte eine weitere Frau auf die Kinder auf, die sie geboren hatten. Nur noch wenige Frauen brachten ihre Kinder in den Hort, aber nur wenige konnten arbeiten, um die Familie zu versorgen, und die Kinder allein großziehen. Noch weniger dachten an Ehe – die Horde hatte diese Institution innerhalb der unteren Schichten beinahe zerstört, indem sie das Heiraten zwei Jahrhunderte lang verboten hatte. In den Jahren, seit die Horde verschwunden war, waren Familiengemeinschaften, die hauptsächlich aus Frauen bestanden, häufiger als ein Mann und eine Frau, die zusammenlebten.
»Meine Mutter möchte den Frauen eine Wahlmöglichkeit zurückgeben, welche die Horde nicht mehr zugelassen hat, doch anders als die Horde will sie niemanden zwingen. Wenn Ihr die Liga einfach den richtigen Personen gegenüber erwähnt – Euer Scarsdale wird wissen, um wen es sich dabei handelt – , wird Ihre Unterstützung mehr bewirken als tausend Briefe. Oder Ihr könntet an einer der Versammlungen teilnehmen. Heute Abend ist eine, falls Ihr den Wunsch habt zu kommen.«
Sie erreichten das Lagerhaus des Schmieds . Mina ging am Ladeneingang vorbei, wo Angestellte Apparate an Leute verkauften, die sie sich leisten konnten. In der Narrow waren es wenige. Das Geschäft des Schmieds auf der Strand war viel größer und eine der beliebtesten Adressen für Bounder in der Stadt. Neugierig verlangsamte Mina ihren Schritt und beobachtete den Herzog. Er blieb nicht vor dem Geschäft stehen, sondern ging ruhig zum Eingang der Schmiede weiter, außer Sichtweite um die Ecke herum.
In Ordnung . Sie nahm an, dass er den Schmied kannte – was die Frage aufwarf, weshalb er gewartet hatte.
»Warum habt Ihr Euch die Mühe gemacht?«
Mit zusammengezogenen Brauen blickte er zu ihr hinab. »Welche Mühe?«
»Euch zu entschuldigen?«, sagte sie. »Habt Ihr Euch je bei den Familien der Männer entschuldigt, die Ihr getötet habt, den Frauen, die Ihr vergewaltigt habt? Bei den Händlern und Regierungen, die Ihr bestohlen habt? Und auf einmal entschuldigt Ihr Euch für eine simple Beleidigung? Zu welchem Zweck? Ihr könnt die Informationen, die Ihr wünscht, auch ohne eine Entschuldigung bekommen.«
Der Eiserne Herzog schwenkte herum und baute sich vor ihr auf. Mina machte eine Drehung zur Backsteinmauer hin, um einen Zusammenstoß mit ihm zu vermeiden, wobei sie über Schutt stolperte. Was zum Teufel … ? Zorn stieg in ihr hoch. Sie öffnete den Mund, blickte auf – und erstarrte mit dem Rücken zum Gebäude, die Augen reglos auf ihn gerichtet, weil sie sicher war, dass er sich auf sie stürzen würde, wenn sie wegsähe.
Er wirkte nicht verärgert. Sein Ausdruck war gleichmütig und undurchdringlich. Doch sie konnte die Kontrolle spüren, die er sowohl über sich als auch über sie ausübte, und die Gefahr,
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