Die Eiserne See - Brook, M: Eiserne See
ihnen nicht schaden würde, wenn sich die Möglichkeit ergab. Vielleicht war es leichter, jemandem etwas zu schulden, wenn man wusste, dass das Leben von dieser Schuld nicht aus dem Gleichgewicht gebracht würde.
»Ihr habt ein Talent zur Untertreibung, Sir.«
Lächelnd ließ er seinen Arm sinken. »Ich suche nach einer Kabine und Haarnadeln für Sie, Inspektor.«
Er wandte sich zum Gehen. »Wer ist Hunt?«, fragte sie und brachte ihn dazu, stehen zu bleiben. Seine Schultern versteiften sich. In der ganzen Zeit, obwohl sie von fast nichts anderem als der Terror und den Umständen, unter denen sie gekapert worden war, gesprochen hatten, hatte er Hunt nie erwähnt. Sie hatte beinahe Angst zu erfahren, warum, doch sie musste fragen.
»Wer ist er, und was bedeutet das für die Mannschaft der Terror ?«
»Er war vor der Meuterei Adams Oberleutnant.« Er ballte die Hand an seinem Oberschenkel zur Faust. »Nachdem ich Adams getötet hatte, habe ich ihn gemeinsam mit den anderen Offizieren von Bord geschickt, aber ich hätte ihn ebenfalls töten sollen.«
»Warum?«
Er antwortete nicht. Stattdessen sagte er: »Das Schiff braucht eine Mannschaft. Hunt wird die behalten, die für ihn nützlich sind.«
Das wäre gut für Andrew. Weshalb schaute er sie also nicht an? »Ist ein Fähnrich nicht nützlich?«
»Ja. Auf die eine oder andere Weise.«
Furcht schnürte ihr die Kehle zu. »Was soll das heißen?«
»Es heißt, dass auf dem Ivory Market ein vierzehn Jahre alter Junge stets zu irgendetwas zu gebrauchen ist.« Er blickte über die Schulter, und sie konnte seinen Zorn und seinen Hass sehen; dann verschwand alles wieder hinter einer Maske der Teilnahmslosigkeit. »Es hängt alles davon ab, woraus Hunt größeren Nutzen zieht.«
8
Obwohl Mina nicht wirklich erwartet hatte, dass der Herzog sie in Ruhe ließ, nachdem man ihr eine Kabine zur Verfügung gestellt hatte, tat er das. Sie hatte die Stiefel ausgezogen und saß auf einer schmalen Pritsche, versuchte, sich von ihrer Sorge um Andrew nicht verrückt machen zu lassen, während sich der blaue Himmel und die weißen Wolken vor dem Bullauge in ein stumpfes Grau verwandelten.
Sie ging an Deck, zufrieden, dass ihr kurzer Mantel einigermaßen glatt war, dass sie ihr Gesicht vom Ruß gereinigt und ihre Stiefel zu einem stumpfen Glanz poliert hatte und dass nicht einmal ein Wirbelsturm mehr ihren Haarknoten lockern konnte. Ohne den Überzieher begann sie in der kalten Luft augenblicklich zu zittern. Auf keinen Fall würde sie sich das jedoch anmerken lassen. Sie nickte dem Herzog und der Kapitänin auf dem Achterdeck zu und ging zu Newberry, der mit den Jungen in der Nähe der Ladeplattform stand und ihr einen ausreichend großen Windschutz bot.
Wie stets war die Themse mit Frachtkähnen und Booten voll, und auf den Brücken herrschte reger Betrieb. Von ihrem Aussichtspunkt aus waren die Armenviertel von Southwark eine rauchende Ruine, wo nur noch ein paar wenige Gebäude bewohnbar waren. Der Turm der Horde wirkte klein und kaputt – und der alte Westminster Palace nicht minder. Der Uferdamm sah aus wie ein Schandfleck. Es war geplant gewesen, eine neue Straße entlang dem Nordufer der Themse zu bauen, doch hatte die Revolution das Projekt der Horde vereitelt, bevor die Baumaßnahme auch nur zur Hälfte fertiggestellt war. Stützen und Träger ragten aus dem Fundament, und Berge von Schutt und Unrat sprenkelten den Damm. Doch es war nicht völlig umsonst gewesen. Die geplante Straße wurde als Schotterweg genutzt, und man hatte Bäume gepflanzt, um es nicht ganz so hässlich aussehen zu lassen. Es gab ein paar parkähnliche Zonen mit Rasen und Blumenrabatten, die einen kleinen Abstecher lohnten, wenn Mina in der Gegend unterwegs war.
Ihre Nackenmuskeln taten ihr weh, weil sie das Zittern unterdrückte, und sie verkrampfte sich noch mehr, als Trahaearn zu ihr trat. Die Wärme seines Atems an ihrem Ohr sorgte dafür, dass sich der Rest ihres Körpers kälter anfühlte.
»Wir haben Glück, dass es nicht neblig ist«, sagte er. »Yasmeen würde uns wahrscheinlich im Fluss und nicht im Park absetzen.«
Ein Park voller wartender Menschen. Solange nicht Chefinspektor Hale unter den Wartenden war, würde sie dort nicht lange bleiben, sondern die Menge so schnell wie möglich hinter sich lassen.
»Ja, Euer Hoheit«, sagte sie, und obwohl sie seinen Blick spürte, erwiderte sie ihn nicht. Auf der Ladeplattform wich sie ihm aus und schlüpfte an Newberry vorbei, um sich auf
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