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Die Eisfestung

Titel: Die Eisfestung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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sie konnten, die genaue Lage der Maueröffnung über ihnen zu erspähen. Simon blickte auf die Uhr, dann wieder die Mauer hoch. Der Wind zerrte an ihren Mützen, Schneeflocken schmolzen auf ihren Gesichtern.
    »Er muss noch da sein.« Simon stand dicht neben Emily. »Wir sind nur drei Minuten zu spät.«
    »Kann er uns denn überhaupt sehen? Ich kann das Loch kaum erkennen.«
    Simon ließ ein durchdringendes Pfeifen erklingen, aber es wurde vom Wind davongetragen. Er versuchte es mit lauten »Marcus, Marcus«-Rufen. Kein Gesicht tauchte auf, kein Seil wurde heruntergelassen. Emily rief auch.
    »Und uns erzählt er noch groß, dass wir die Uhren synchronisieren müssen«, brummte Simon. »Wahrscheinlich hat er seine jetzt verloren. Was meinst du? Sollen wir ans Tor hämmern?«
    »Da würden wir nur ein paar Steine auf den Kopf kriegen – aber da ist er ja!«
    Ein orangeblauer Farbklecks war über ihnen in dem Schneetreiben zu sehen. Simon und Emily winkten und schrien. Der Farbklecks beugte sich etwas nach vorne, dann verschwand er. Einen Augenblick später sauste vor ihnen das Seil herunter. Zuerst kletterte Emily die Mauer hoch, dann Simon. Immer wieder rutschten ihre Stiefel an den vereisten Steinen ab.
    Marcus wartete oben auf sie, die Kapuze seines Thermoanoraks tief ins Gesicht gezogen. Hinter ihm im leeren Rittersaal tanzten die Schneeflocken. Wortlos machte er ein Zeichen, dass sie ihm auf dem Mauerumgang folgen sollten. Nach ein paar Metern kamen sie an eine geschütztere Stelle. Emily hatte erwartet, dass er sie die Wendeltreppe hoch in das Kaminzimmer führen würde, aber Marcus bog zur Kapelle ab, und sie machten fast einen Rundgang durch das ganze Stockwerk. Schließlich waren sie in der Vorhalle des Rittersaals angelangt, in der man vom Fenster aus den Parkplatz und das Torhaus überwachen konnte.
    Marcus zog seine Kapuze vom Kopf. »Habt ihr das Wasser dabei?«
    Er hatte dunkle Ringe um die Augen, wirkte verfroren und erschöpft. Emily glaubte, gesehen zu haben, dass seine Hand zitterte, als er die Flaschen aus Simons Rucksack entgegennahm.
    »Ist das alles?«, fragte Marcus. »Zwei Flaschen?«
    »Em hat nicht dran gedacht.«
    »Echt typisch. Man verlangt dringend Nachschub und bekommt ihn nicht.«
    »Krieg dich mal ein«, sagte Emily. »Du kannst das gar nicht alles auftrinken, deshalb tu nicht so.«
    »Das Wasser trinken? Nein danke!« Marcus sprang auf den Fensterabsatz und spähte in das Schneetreiben hinaus. »Ich habe oben noch Cola. Das Wasser ist für meine Verteidigung. Aber macht nichts, ich hab noch meinen Campingkocher. Da kann ich Schnee schmelzen. Dauert nur etwas.«
    »Was willst du damit machen?«, fragte Simon. »Davon hast du gestern nichts gesagt.«
    »Ist für kleine Fallen und Stolpersteine, Kumpel. Ich werd’s dir zeigen.«
    Er nahm eine der beiden Flaschen und ging zu dem Arkadengang mit der Brüstung, der früher an der ganzen Seite des Rittersaals entlanggeführt hatte und jetzt nach ein paar Metern vom offenen Mauerumgang abgelöst wurde. Mittendrin blieb er stehen. Im Innenhof wirbelten die Flocken, doch auf die Steinplatten verirrten sich nur wenige. Marcus ging in die Hocke und schraubte die Wasserflasche auf.
    »Okay«, sagte er grinsend. »Jetzt schaut mal gut zu! Passt auf, dass ihr nicht nass werdet!«
    Und noch während er das sagte, drehte er die Öffnung nach unten und schüttete vorsichtig das Wasser aus, wobei er mit seiner Hand einen großen Kreis beschrieb, sodass der Gang fast in seiner ganzen Breite mit einer dünnen Wasserschicht bedeckt wurde.
    »Super«, sagte er, »ich hab nur die halbe Flasche verbraucht. Der Rest ist für die andere Seite.« Er stand wieder auf. »Kapiert ihr? Der Stein ist hier ganz ausgetreten. Eine halbe Stunde und das wird eine spiegelglatte Fläche sein. Eine Eisfalle.«
    »Ja«, sagte Emily. »Ich hab’s kapiert.«
    »Ich werde ganz viele solche Eisfallen anlegen. Die Arkadengänge werden damit gepflastert sein. Das könnte meine Rettung sein, falls der Feind in die Burg eindringt. Ich werde wissen, wo ich einen Hüpfer machen muss, aber der Feind weiß es nicht. Und dann, wenn ich etwas Glück habe -«
    »- rutscht dein Verfolger aus, fällt hin und bricht sich was«, fuhr Emily fort. »Hab ich kapiert.«
    »Nicht schlecht«, sagte Simon.
    Danach marschierten sie wieder zurück in die Vorhalle. Marcus wollte sich nicht zu lange von seinem Wachposten am Fenster entfernen. Er lehnte sich so an die Mauer, dass er einen guten Blick

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