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Die Eishölle

Die Eishölle

Titel: Die Eishölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Basil Copper
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bereits in Croth gesehen hatten. Ich spürte, wie es mir vor Angst den Hals zuschnürte, aber bevor ich irgendetwas sagen konnte, entdeckten Scarsdale und ich fast gleichzeitig Holden.
    Zu meiner größten Erleichterung schien am Leben zu sein.
    Allem Anschein nach war er in Ohnmacht gefallen, vielleicht aus Schreck über eine plötzliche Tragödie, die Van Damm veranlasst hatte, zu schießen? Er saß zur Hälfte auf einer jener kleinen Kisten, die wir an die Tunnelwand gestellt hatten.
    Seine Schulter ruhte an der Wand und sein Kopf war ihm auf die Brust gesunken, als sei er zu müde, sich aufrecht zu halten.
    Ich ließ den Handwagen los, sprang vor und legte den Arm um meinen Freund, um ihn zu wecken. Scarsdales Warnruf kam zu spät. Obwohl es bereits Jahre zurückliegt, verfolgt mich dieser Augenblick des eiskalten Grauens noch immer.
    Denn Holdens Gestalt, hauchdünn und substanzlos wie eine Hülse, die ausgesogen worden war, geradezu wie von einem Blutegel, löste sich mit einem grellen, papierenen Rascheln von der Wand. Die Hülle verdrehte sich in meiner Hand, und das schreckerfüllte Gesicht Holdens, bis in jede Einzelheit vollkommen – Haare, Augen und Haut – gaben im flackernden gelben Licht meiner Lampe nach und zerfielen, während die ganze Zeit ein heller, schriller Schrei durch die leicht geöffneten Lippen drang, wie das Zischen entweichender Luft.
    Grauenhaft und unerbittlich verdrehte sich die aufgeschlitzte Hülse, die einmal Holden gewesen war, und schnurrte schließlich zusammen wie eine ekelhafte Tüte aus Luft und Gewebe. Das kraftlose, sackähnliche Ding schrumpfte am Ende zu einer grauen, verschrumpelten Tüte aus Haut zusammen, die nicht größer als meine Faust war. Sie wäre mit Sicherheit durch die Korridore davongeweht worden, hätte es auch nur den geringsten Windhauch gegeben. Alles, was von unserem Freund übrig blieb, von einem Büschel Haare, der runzligen Haut und den Kleidern abgesehen, waren zehn Finger- und zehn Zehennägel.
    Ich selbst verwandelte mich in einen kreischenden, brabbelnden Wahnsinnigen und kam erst eine halbe Stunde später wieder zu mir, nachdem mich Scarsdale buchstäblich zur Vernunft geohrfeigt hatte. Als ich wieder zu mir kam, saß ich mit dem Rücken an der Tunnelwand und die bärtige Gestalt Scarsdales stand über mir. Er schüttete mir hochprozentigen Brandy den Hals hinunter, und als ich hustend und spuckend wieder zu Besinnung kam, sah ich, wie er selbst ein Schlückchen des scharfen Getränks hinunterstürzte. Ansonsten wirkte er so stark und unerschütterlich wie immer. Er zog mich besorgt hoch und half mir in eine stehende Position. Dann schob er mir den Revolver zurück in die Hand und sagte, wie zu einem Ertrinkenden, immer und immer wieder: »Alles ist in Ordnung, mein lieber Freund, alles ist in Ordnung.«
    Er wiederholte die Worte langsam und deutlich, als ob ihr Sinn einige Zeit benötigen werde, bis ich ihn verstand. Das war tatsächlich der Fall, als habe die schlichte Wiederholung ausgereicht, den schwarzen Albtraum zu vertreiben, in den wir geraten waren.
    Denn es sollte noch schlimmer kommen, und im Laufe der nächsten Stunde, während der ich mich beruhigte, begannen Scarsdales Worte mehr und mehr Sinn zu ergeben, und mir wurde klar, dass wir noch ein weiteres Mal zurück mussten, zurück in jenen abscheulichen Tunnel, in die Eishölle hinein, wo die wesenhaften, monadelphischen Kreaturen
    umherschlichen, deren blökendes Kreischen wir aus so gutem Grund fürchteten. Aber als sich meine Nerven erholten und ich wieder kräftiger wurde, wurde mir klar, dass Scarsdale Recht hatte. Van Damm lebte – zumindest bis vor wenigen Augenblicken noch – und bedurfte mit Sicherheit unserer Hilfe.
    Bei dem Gedanken, was er womöglich in diesem Moment erleiden musste, wurde mir erneut übel, und er stärkte meine Entschlossenheit noch. Mit Hilfe des Branntweins kam ich wieder zu Kräften und ich glaube, dass ich in diesen letzten Stunden wieder der Mann war, den Scarsdale vor langer Zeit in jenem weit entfernten Teehaus am Britischen Museum ausgesucht hatte – in einer anderen Welt und in einem anderen Zeitalter, wie mir jetzt schien. Denn während ich im Wahnsinn vor mich hin brabbelte, hatte Scarsdale weit unten im Tunnel wieder Schüsse gehört, aus der Richtung, aus der wir gekommen waren und woher wir Van Damms wilden Hilferuf gehört hatten.
    Ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er noch in diesem Moment alleine aufgebrochen wäre, nur

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