Die Eishölle
den unterirdischen Tiefen der Erde existierte. Ich konnte die mathematischen Gedankengänge nicht erfassen, die der Annahme vorausgingen, das All könne dergestalt gekrümmt sein, dass ein Tor zu den Sternen viele Kilometer unter der Erdoberfläche existierte. Scarsdale hätte Wochen mit Kreide und Tafel zubringen können, und ich hätte keinen Deut mehr verstanden. Aber ich gewöhnte mich langsam an den Gedanken, so erschreckend und unglaublich er auch erscheinen mochte.
Das Licht wurde stärker, und meine Gedanken kreisten unablässig um derartige Vermutungen, obwohl ich mir vorgenommen hatte, einen klaren Kopf zu bewahren, während wir allmählich wieder in die Gefilde des Lichtes vordrangen.
Das Pulsieren wurde ebenfalls stärker, und wie bei unserem ersten Vorstoß überquerten wir wieder die Schleimspuren. Wie Scarsdale hatte auch ich ein Taschentuch um den Hals gebunden, und ich legte es über Mund und Nase, um etwas von dem widerlichen Gestank abzuhalten. Die Schutzbrille hatte ich auf die Stirn geschoben, setzte die abgedunkelten Gläser jedoch auf, als sich die ersten weißen Strahlen außerirdischer Herkunft in weiter Ferne in die Dunkelheit bohrten.
Scarsdale und ich hatten diesmal Ohrstöpsel aus Baumwolle vorbereitet, und durch sie waren wir von der Wirklichkeit mehr oder weniger isoliert, was unserer Meinung nach unabdingbar war, wenn wir überleben wollten. Aber die damit einhergehende Einschränkung unserer Wahrnehmung, insbesondere des Gehörs und des Augenlichts, barg ihre eigenen Gefahren. Wir hatten bereits vorher abgesprochen, dass im Notfall jeder den Rücken des anderen decken würde.
Wir hielten den Handwagen dort an, wo die Grauen erregende pulsierende Helligkeit der immer stärker werdenden Lichtquelle den Boden nachgerade überschwemmte. Wir hatten die Granaten in einen Weidenkorb gelegt, der einst Batterien für unseren Generator beinhaltet hatte, und trugen ihn zwischen uns, jeder an einem Griff, so dass wir die andere Hand für die Revolver frei hatten. Trotz Ohrstöpsel und Schutzbrille löste die Intensität der Lichtquelle, verbunden mit dem heimtückischen, rätselhaften Pulsschlag in mir Übelkeit aus, als wir schließlich auf die große Scheibe aus glühenden Strahlen hinaustraten, die Scarsdale so passend die Eishölle getauft hatte.
Nichts rührte sich, die fernen Schatten blieben reglos. Aber auf dem Felsboden vor uns beschrieben frische Schleimspuren gewundene Muster.
Beide sanken wir trotz des starken Gestanks auf die Knie und versuchten, so viel wir konnten über diese rätselhafte Spur herauszufinden. Die Oberfläche des Bodens war natürlich zu hart, um irgendwelche Abdrücke – etwa von den schleifenden Absätzen von Van Damms ruhender Gestalt – zuzulassen, aber die Spuren verrieten uns dennoch etwas. Sie führten nicht, wie wir befürchtet hatten, dicht auf das bleiche Oval weiß glühenden Lichts zu, das im Rhythmus des Trommelschlags bebte und pulsierte, sondern verlief in einem Bogen zu einer Seite hin. Dort ragte ein Felsvorsprung heraus und führte in einen im Schatten liegenden Bereich, wo das fahle Feuer aus dem All nicht hinreichte.
Scarsdale und ich trugen den Weidenkorb und schlichen uns hinüber. Vorsichtig blickten wir uns um. Als wir in den Schatten traten, wurde der Gestank noch unerträglicher, wie die offene, eiternde Wunde eines Patienten, der an einer Ekel erregenden Krankheit leidet. Selbst Scarsdale schien darunter zu leiden; ich konnte Schweißperlen in seinem Bart glitzern sehen, die in kleinen Bächen über sein Kinn liefen. Wir standen mit dem Rücken zum weißen Glanz und mussten unsere Augen erst an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnen.
Wir stiegen auf ein schmales Felsgesims, nahmen einige Granaten und steckten sie für den Notfall in die Taschen. Den Weidenkorb zogen wir so nah wie möglich an das Gesims heran, falls wir überstürzt aufbrechen mussten. Dann schlichen wir an den Eingängen von drei dunklen Höhlen vorbei, die sich jetzt im Dämmerlicht abzeichneten.
Wir entdeckten Van Damms gekrümmte Gestalt im selben Augenblick. Jegliche Vorsichtsmaßnahmen missachtend, wollten wir los eilen, als ich meine Hand auf Scarsdales Schulter legte und unsere übereilte Aktion unterband. Meine grauenhafte Erfahrung war mir noch frisch im Gedächtnis, und ich hatte nicht den Wunsch, diese Tortur zu wiederholen.
Sowohl Scarsdale als auch ich hielten es mittlerweile für äußerst unwahrscheinlich, dass unser unglücklicher
Weitere Kostenlose Bücher