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Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Titel: Die eiskalte Jahreszeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.D. Miller
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Flocken zischten in die Glut. Wie ich da am Grill stand, überkam mich ein glückseliges Wohlgefühl, wie es den im Ausland Lebenden manchmal überkommt. Ich war weit fort von Dingen und Leuten, an die ich nicht denken wollte – mich selbst eingeschlossen, mein altes Selbst, dem Na-und-Anwalt mit seinem Na-und-Leben, das ich in London zurückgelassen hatte. Mein Ich, wie du es kennst. Ich war an einem Ort, wo heute, wie an jedem Tag, beinahe alles passieren konnte.
    Etwa eine Stunde später saßen wir Seite an Seite auf dem Sofa in der nun warmen Datscha, aßen gegrilltes Lamm mit armenischem Fladenbrot, dazu scharfe georgische Granatapfelsoße, und tranken aus angeschlagenen Schnapsgläsern schneegekühlten Wodka, den wir mit einem Bier hinunterspülten. Maschas Haar hing offen auf ihre Schultern. Beide, sie und ihre Schwester, aßen mit jenem wortlosen, entschlossenen Opportunismus, der den Russen im Blut zu liegen scheint.
    »Mir gefällt dein Freund«, sagte Katja.
    »Welcher Freund?«
    »Im Klub. Im Rasputin. Freund, der uns geholfen hat.«
    »Das ist nicht mein Freund«, sagte ich.
    »Vielleicht sollte er Freund sein«, warf Mascha ein. »Ist ein nützlicher Mensch.«
    Sie lächelte, doch glaube ich nicht, dass sie es scherzhaft gemeint hat. Mir gefiel ihre Offenheit, nur hatte ich keine Lust, über den Kosaken zu reden.
    »Wer ist Anja?«, fragte ich daher.
    »Wer?«, fragte Katja zurück.
    »Das Mädchen, dessen Großvater diese Datscha gehört.«
    »Ihr Großvater hat Datscha, seit er für Eisenbahn arbeitet«, erklärte Katja. »Eisenbahn gehört all das Land und hat jedem ein Stück gegeben. Aber er kommt nie her, und Anja wohnt jetzt in Nischni Nowgorod. Ich glaube, Großvater vielleicht tot. Sie ist auch unsere Schwester.«
    »Ihr habt noch eine Schwester?«
    Sie lächelten. Sie dachten darüber nach.
    »Weißt du, Kolja«, sagte Mascha, »auf Russisch bedeutet das Wort Schwester nicht nur Tochter von deine Eltern. Damit kann auch gemeint sein Tochter von Bruder oder Schwester von deine Eltern. Ich glaub, in Englisch habt ihr eigenes Wort für Schwester von diese Art, nicht?«
    »Ja,
cousin
«, antwortete ich. »Das habe ich nicht gewusst.«
    »Da«,
erwiderte Mascha.
»Cousin.«
    »Und was für eine Art Schwester ist Katja?«, fragte ich.
    »Sie ist auch
cousin
«, sagte Mascha nach einer Pause.
    »Ja«, bestätigte Katja, deren Wangen von der scharfen Soße und dem Wodka rot angelaufen waren, »ich bin
cousin
.« Sie leckte sich letzte Reste von den Händen.
    Also doch keine Schwestern. Nicht ganz das, wofür ich sie gehalten hatte. Zum ersten Mal fühlte ich mich in ihrem Beisein wie dann, wenn mir aufging, dass ein Moskauer Taxifahrer betrunken oder irre war und ich hinten im Auto saß, nach dem Türgriff tastete und überlegte, wann ich rausspringen sollte, obwohl ich die ganze Zeit wusste, ich würde es nie tun. Ich habe es auch nie getan.
    Ich hätte mich natürlich nach ihrer Familie erkundigen können und danach, wie genau sie miteinander verwandt waren, doch Mascha stellte ihren Teller ab und sagte: »Gehen wir,
banja
ist fertig.«
    *
    Zum Nebengebäude gehörte ein winziger, schmuddeliger Vorraum, etwa von der Größe eines mittleren Kleiderschranks, an der Wand ein paar Haken und eine Ofenklappe, die Katja noch mit einigen Scheiten fütterte. Sekundenlang standen wir einfach nur da wie Fremde in einem eisigen Lift. Dann zogen wir uns aus, Ellbogen stießen an Hintern, Haut streifte Haut. Sie trugen beide String-Tangas – ich dachte unwillkürlich, dass unverheiratete Russinnen offenbar von Gesetzes wegen verpflichtet wurden, sie zu tragen – Katjas war rosa mit Rüschen, dazu ein passender BH , an Maschas kann ich mich nicht erinnern. Die zogen sie auch noch aus. Ich schälte mich aus den edlen Boxershorts, die ich mit Bedacht ausgewählt hatte, und steckte meine Brille in einen der Winterstiefel. »Okay«, sagte Mascha, »schnell!«; und wir huschten in die Hitze, ehe sie entweichen konnte.
    Diese
banja
besaß keine der Annehmlichkeiten, wie ich sie von den besseren Moskauer Saunen kannte, in die ich manchmal mit Paolo ging, keinen Zitronentee, keine grimmigen Masseure, keine gedämpften Gespräche mächtiger haariger Männer, doch ist dies eindeutig die
banja
, die ich am besten in Erinnerung habe. Es gab eine grobe, selbstgezimmerte Bank, und von draußen fiel durch ein kleines Fenster das abnehmende Tageslicht. Die dem Fenster gegenüberliegende Wand bestand aus einer Metallplatte,

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