Die eiskalte Jahreszeit der Liebe
die Ofenrückseite: Für einen Dampfaufguss kippte man einfach Wasser aus einem kleinen Eimer dagegen. Es war unglaublich heiß. Wir setzten uns auf die Bank und versuchten, mit den Füßen nicht den glühenden Boden zu berühren. Ich saß am wärmsten Platz, gleich neben dem Ofen, Katja an der halbhellen Stelle am Fenster. Es war eine dieser Situationen, in denen man versucht, nicht hinzusehen, aber scheitert und sich mit dem Gedanken tröstet, dass dies vermutlich auch beabsichtigt ist. Sie hatte mannequinfeste Brüste, größer als Maschas, und sie war keine echte Blondine.
Wir saßen Haut an Haut; unser Schweiß rann zusammen und sammelte sich in Lachen auf dem Boden.
»Nun, Kolja«, sagte Katja, »was hältst du von Butowo? Als neue Wohnung für Tatjana Wladimirowna.«
»Ich finde sie sehr hübsch.«
»Ich bin mir nicht sicher«, sagte Mascha, die langen Beine gerade noch sichtbar, das Gesicht im Dunkeln. »Sie ist ziemlich weit weg. Vielleicht mag ich alte Wohnung von Tatjana Wladimirowna doch lieber.«
»Aber wenn sie nach Butowo will«, sagte Katja. »Vielleicht kannst du ihr helfen, Kolja. Mit Verträge, meine ich. Mit Anwaltssachen, Papiere für jetzige Wohnung, die Stepan Mikhailowitsch vielleicht braucht. Sie ist alte Sowjetfrau und versteht das nicht.«
Mir fiel das Reden schwer; sobald ich den Mund aufmachte, fuhr heiße Luft herein und verbrühte mir die Kehle; also sagte ich nur: »Ja.«
Wir buken noch weitere zwanzig Minuten. Mir war schwindlig vom Wodka, weshalb ich am liebsten schon nach fünf Minuten gegangen wäre, aber ich wollte nicht als Erster aufgeben. Endlich sagte Mascha: »Kommt, wir waschen.«
»Und wie waschen wir uns?«
»Im Schnee«, sagte Katja.
»Wir springen in den Schnee«, sagte Mascha.
»Ist das nicht gefährlich? Fürs Herz, wisst ihr?«, keuchte ich und deutete im Dämmerlicht auf meine Brust.
»Leben ist gefährlich«, sagte Mascha und legte einen triefnassen Arm um mich. »Hat noch keiner überlebt.«
Wir schlitterten über den glitschigen Boden und schlossen hinter uns die Tür. Ohne anzuhalten, hasteten wir durch den Vorraum. Unter einer wuchtigen Kiefer am hinteren Zaun tauchten Mascha und Katja dann kichernd und mit dem Gesicht voran in einen tiefen, unberührten Schneehaufen. Ich bibberte etwa drei Sekunden lang, dann machte ich es ihnen nach.
Es fühlte sich an, als würde ich am ganzen Körper geohrfeigt oder von tausend Bienen gestochen, aber auf gute Weise; in einer herzstillstandkurzen Sekunde löschte der Schnee die Hitze der
banja
. Mehr noch, ich fühlte mich, als hätte ich etwas Leichtsinniges getan, wäre von einem hohen Turm ins Wasser gesprungen oder hätte einen Zug ausgeraubt – und überlebt. Der prickelnde Schmerz bewies, dass ich lebte, dass jeder Zoll von mir lebendig war, lebendig wie nie zuvor.
Und das ist die Wahrheit über die Russen, die ich erst begriff, als es bereits zu spät war. Die Russen tun das Unmögliche: das, von dem du glaubst, sie brächten es nicht fertig, das, woran du noch nicht einmal gedacht hast. Sie setzen Moskau in Brand, wenn die Franzosen kommen, oder vergiften einander in fremden Städten. Das machen sie, und danach benehmen sie sich, als wäre nichts geschehen. Und bleibst du lang genug in Russland, wirst du wie sie.
Als wir wieder aufstanden, schaute ich in den Schnee, matt jetzt, doch im Dunkeln schimmernd, und für meine schwachen, brillenlosen Augen hatte die von Maschas Körper geformte Kuhle die Gestalt eines Engels. Wir rannten zurück ins Nebengebäude, die Füße taub, erstes Eis im Haar. Katja schnappte sich ihre Sachen und hastete nackt weiter in die Datscha. Ich griff nach meinen Stiefeln, aber Mascha nahm sie mir aus der Hand, ließ sie fallen und zog mich zurück in die Hitze.
»Hattet ihr eine
banja
in Murmansk?«, fragte ich. Ich konnte sie im sengenden Zwielicht kaum sehen.
»Ja«, sagte sie, und mehr sagte sie nicht.
Anfangs fühlte sie sich seltsam an, vom Schnee beinahe leichenkalt, nur der Mund war feucht und wie elektrisch geladen. Sie war mein ureigenes Nirwana, meine persönliche Lawine in der dünnen Luft der
banja
. Und für die Dauer der nächsten Minuten löschte sie jeden Gedanken an den unheimlichen Kosaken aus, an mein vergeudetes drittes Lebensjahrzehnt, all meine Zweifel.
*
In der Nacht wachte ich auf und hatte nicht die geringste Ahnung, wo ich war. Ich weiß noch, wie ich mich mit dem Gedanken beruhigte, ich läge in meinem Bett in Birmingham, in dem letzten
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