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Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Titel: Die eiskalte Jahreszeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.D. Miller
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Wohnung registriert war – also niemand, der etwa im Gefängnis saß; auch kein getrennt lebender Ehegatte, der plötzlich wieder auftauchte, um sein Wohnrecht geltend zu machen. (Weißt du, man kann in Russland nicht einfach wohnen, wo es einem gefällt. Man kann sich nicht irgendwo eine Wohnung suchen, wie wir das in Kennington getan haben; man muss sich erst an einer bestimmten Adresse anmelden, damit die Behörden wissen, wo man zu finden ist.) Außerdem seien Bauzeichnungen für beide Wohnungen vonnöten, aus denen der Lageplan, der Verlauf der Rohrleitungen, die Gebäudestruktur und Ähnliches hervorging. Und zu guter Letzt brauchten sie dann natürlich noch den eigentlichen Vertrag selbst. Normalerweise, sagte Mascha, würde all dies von einem Makler für eine wahnsinnig hohe Gebühr zusammengestellt.
    »Aber«, sagte sie auf Russisch, »du wirst Tatjana Wladimirowna doch mit dem juristischen Papierkram helfen, nicht wahr, Kolja?«
    »Natürlich«, antwortete ich. Wir hatten beide nicht vergessen, was ich ihr in der
banja
versprochen hatte.
    »Sie sind ein wahrer Gentleman«, sagte Tatjana Wladimirowna. »Wir haben ja so ein Glück, dass wir Sie gefunden haben.«
    »Ist doch nicht der Rede wert«, antwortete ich.
    Wir kamen überein, dass wir gleich am Morgen des ersten Arbeitstages nach dem langen Neujahrsurlaub zu einem Notar gehen würden, um eine schriftliche Vollmacht ausstellen zu lassen, die es mir erlaubte, im Namen von Tatjana Wladimirowna zu handeln.
    Kurz vor Mitternacht öffnete Tatjana Wladimirowna eine Flasche mit eklig süßem Krim-Champagner. Dann sahen wir uns das Feuerwerk an, sahen den Raketen nach, die über dem zauberhaften Gebäude am Teich aufstiegen.
    »Möge Gott seine schützende Hand über Sie halten«, sagte Tatjana Wladimirowna.
    Wir gingen, sobald es die Höflichkeit zuließ, vielleicht auch schon ein bisschen früher, und winkten uns einen Wagen, an dessen Steuer allem Anschein nach ein pickliger Sechzehnjähriger saß. Er fuhr uns den Bulwar entlang, über die Twerskaja, vorbei an den Casinos der Nowi Arbat, die in der Mittwinternacht wie eine Oase in der arktischen Wüste funkelten, und schließlich über den gefrorenen Fluss zum Hotel Ukraina.
    Das Hotel war einer dieser großen gotischen, unter Stalin in Moskau erbauten Türme, an der Fassade rußverschmierte Statuen, drinnen georgische Gangster, zweitklassige moldawische Prostituierte und leicht überforderte Schulklassen aus ganz Europa. Die Frauen hackten ihre Stilettos ins Eis, während wir auf vereisten Bürgersteigen um das Gebäude schlitterten. An der Hotelrückseite nahmen wir dann die Nottreppe und drückten schließlich auf einen Summer. Mascha nannte das Passwort, das sie von einer ihrer Kolleginnen erhalten hatte, und wir wurden in einen gigantischen, illegalen Nachtclub eingelassen.
    Erst gegen vier Uhr früh tauchten wir wieder daraus auf – Mascha ging mit zu mir, Katja stiefelte allein hinaus ins eisige neue Jahr. Ich habe Mascha mehrfach gebeten, mich mit in ihre Wohnung zu nehmen. Sie hat es nie getan. Damals hielt ich es bloß für einen typischen Fall von unangebrachter Scham.

NEUN
    W ie vereinbart gingen wir im neuen Jahr gleich am ersten Arbeitstag – das dürfte um den zehnten Januar gewesen sein – mit Tatjana Wladimirowna zu einer Anwaltskanzlei, um uns die nötige Vollmacht ausstellen zu lassen. Mascha musste an dem Tag ins Geschäft, aber Katja begleitete uns. Sie war unsere Anstandsdame.
    Der Beruf des Anwalts ist für Moskau so typisch wie der des Maklers, des georgischen Gastwirts oder dem der Prostituierten. Im Grunde sind sie sinnlose, aus Zarenzeiten übriggebliebene Funktionäre, deren Arbeit vorwiegend darin besteht, solche Dokumente herauszugeben und abzustempeln, wie man sie in Russland für fast jede Kleinigkeit braucht. Das Büro der Anwälte, zu denen wir an jenem Morgen gingen, lag versteckt in einem alten Zirkusgebäude unmittelbar nördlich des Stadtzentrums. Als die Musik zu spielen aufhörte, das Reich des Bösen in sich zusammenfiel und die Russen sich für den Bruchteil einer Sekunde ansahen, um sich dann zu greifen, was sie kriegen konnten, müssen die Anwälte irgendwie zu diesem Zimmer gekommen sein, in dem bestimmt einmal eine Akrobatentruppe oder ein Löwenbändiger gewohnt hatte.
    Wir schlitterten über den Gehweg vor dem Zirkus. Tatjana Wladimirowna kam auf dem Eis schneller als ich voran; im Winter war sie in ihrem Element wie ein Pinguin im Wasser. Dann tappten

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