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Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Titel: Die eiskalte Jahreszeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.D. Miller
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Einkaufsflüge ihrer Frauen im Privatjet nach Paris aus. Narodneft stand dahinter, und irgendwo hinter Narodneft stand der russische Präsident. Vermutlich hatten wir eingesehen, dass Steve Walsh recht hatte und der Kosak mit seinen Kumpanen im Kreml, im FSB oder sonstwo sich nur das eigene Nest ein wenig auspolstern wollte. Jedenfalls bin ich davon überzeugt, dass wir glaubten, unsere Banken stünden auf der sicheren Seite.
    Letzten Endes war es Paolos Entscheidung. »Also gut«, sagte er, »machen wir’s.«
    Er trat ans Fenster, um den Bankvorsitzenden aus seinem Bett in Manhattan zu klingeln und ihm die gute Neuigkeit mitzuteilen. Die Russen machten sich über Wodka und Hering her. Wir ließen die Gläser klirren.
    Alle waren zufrieden. Die Banken, aber auch Paolo. Ebenso der Kosak. Der Kosak war zufrieden. Er lud mich und Paolo ein, mit ihm im Altai-Gebirge auf Jagd zu gehen. Er sagte, er würde uns beibringen, einen Granatwerfer abzufeuern. Welches mein liebster James-Bond-Film sei, wollte er wissen. Und stimmte es, was man sich über Freddie Mercury erzählte? Rückblickend denke ich, er fand seine Art, Dinge zu erledigen, ganz normal – fand es normal, dass wir zusammen tranken, Witze rissen und uns von unseren Familien erzählten, um dann zu tun, was sowieso getan werden musste. Ich glaube, er dachte, wir seien Freunde.
    »Und, Nicholas?«, fragte der Kosak, »wann kommen Sie uns besuchen? Ihre neue Frau erwartet Sie. Allerdings«, fuhr er fort, »haben mir Ihre Moskauer Frauen auch ziemlich gut gefallen.« Er zwinkerte mir rasch auf verschwörerische Weise zu und kippte dann noch einen Wodka.
    *
    Zur Feier der Stunde lud Paolo uns alle zu einem Essen ins Lachende Wüstenkamel ein, ein usbekisches Restaurant an der Neglinnaja. Mit Sergei Borisowitsch verließ ich den Turm am Paweletskaja-Platz und sprang in einen vorbeifahrenden Wolga. Der leutselige, ziemlich aufgedrehte Fahrer versuchte, Englisch zu lernen. Er fischte ein Übungsheft aus dem Handschuhfach, klemmte es ans Steuer und schrieb immer wieder Wörter auf, deren Klang ihm gefiel (Lunch … Wilder Westen … Ungesichertes Darlehen … fremdfinanzierte Übernahme … ExxonMobil). Anscheinend hat er uns mit Ultraschall durch die Stadt manövriert. Vor dem Restaurant stand ein bibbernder schwarzer Türsteher in weißer Pelzuniform. In der Garderobe scharrten zwei todgeweihte Kampfhähne in ihren winzigen Käfigen, bereit, sich am Abend der Silvesterparty gegenseitig die Augen auszuhacken. In der Gaststätte selbst waren zwei Bauchtänzerinnen, eine gelenkige, energische Blondine, die weniger wie eine Bauchtänzerin aussah, eher wie eine Stripperin außer Dienst; ihren Slipsaum zierte bereits ein Kranz Hundert-Rubel-Scheine. Die zweite Tänzerin war eine dicke, echte Brünette, die mit ihrer Kollegin den Bauch wackeln ließ, obwohl eigentlich niemand hinsah.
    Olga, die Tatarin, war nett, hauchte auf meine Brille und putzte sie für mich, doch haben ihr meine Pheromone wohl verraten, dass ich bereits vergeben war, vielleicht hatte ich auch Mundgeruch, jedenfalls gab sie auf und konzentrierte sich auf Paolo. Beim Essen erzählte Sergei Borisowitsch, wie er versucht hatte, der Einziehung zur Armee zu entgehen, die in Russland hauptsächlich einen Vorwand für massenhaften Sadismus und Sklavenarbeit zu bieten scheint. Seiner Familie blieb die Wahl, sagte er: den Rekrutierungsoffizier bestechen oder einen korrupten Arzt dafür bezahlen, dass er ihn für dienstuntauglich erklärte. Zehntausend Dollar gaben sie dem Offizier, fuhr Sergei Borisowitsch fort, aber der Kerl legte sie rein und zog ihn trotzdem ein, weshalb sie dann auch noch einen Arzt bezahlen mussten.
    »Was hast du hinterher davon gehalten?«, fragte ich. »Von der Armee, meine ich. Und du weißt schon, von Russland. Nachdem der Offizier dich getäuscht hat.«
    Sergei Borisowitsch schlug seine Knollenaugen nieder und dachte etwa zwanzig Sekunden lang nach.
    »Tja«, erwiderte er, »wahrscheinlich hätte ich von vornherein den Arzt bezahlen sollen.«
    Dann, genau dann, sah ich sie – ich sah Katja. Mit einem kurzen, schwarzen Kellnerinnenrock, einer schlichten weißen Bluse, das Haar ordentlich geflochten, bediente sie an den Tischen auf der anderen Restaurantseite. Erst war ich mir nicht sicher, ob sie es wirklich war, aber dann stand ich auf und trat ihr in den Weg, als sie eine fast leere Obstschale zurück in die Küche bringen wollte.
    »Hallo, Katja.«
    »Wir treffen uns draußen

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