Die eiskalte Jahreszeit der Liebe
Wohnungen verkauften, ein paar Monate später aber erklärten, sie seien bei Geschäftsabschluss beduselt, high oder sonstwie nicht bei Sinnen gewesen, weshalb sie den Verkauf annullieren und ihre Wohnung zurückwollten. Oder irgendein lang verloren geglaubter Neffe tauchte wieder auf und beanspruchte die Wohnung für sich. Für die richtige Summe ließe sich vor einem russischen Gericht zwar so ziemlich alles beweisen, aber die Bescheinigung einer Klinik mache es schwerer, den Tausch anzufechten, erklärte sie.
Ich sagte Olga, sie sei ein Engel.
»So ein Engel nun auch wieder nicht«, erwiderte sie, was aber eher traurig als kokett klang.
»Und wie steht’s mit der Wohnung in Butowo?«
»Was diese andere Wohnung angeht«, antwortete sie, »gibt es ebenfalls Fortschritte. Das Gebäude wurde rechtmäßig auf dem Grund und Boden der Stadt Moskau errichtet. Für die Wohneinheit der alten Dame, Apartment dreiundzwanzig, ist außer ihr selbst niemand registriert. Die Wohnung wurde ans Abwasser der Stadt und ans Stromversorgungswerk angeschlossen. Besitzer ist eine Firma namens MosStroiInvest.«
Ich sagte, ich sei der Ansicht gewesen, sie gehöre Stepan Mikhailowitsch.
»Vielleicht ist MosStroiInvest seine Firma«, sagte Olga.
Sie hielt die Papiere wie einen Köder über meinen Kopf. »Und? Wann trinken wir jetzt unseren Cocktail?«
Ich dachte an etwas, was Paolo mir kurz nach meiner Ankunft in Moskau gesagt hatte. Er sagte, er hätte, was meine Arbeit als Anwalt in Moskau anginge, eine schlechte, aber auch eine gute Neuigkeit. Die schlechte Neuigkeit sei, dass es Abermillionen unsinnige, unverständliche und widersprüchliche Gesetze gebe. Die gute Neuigkeit aber laute, niemand erwarte, dass man sich daran halte. Ich war mir sicher, dass es eine Möglichkeit gab, mit MosStroiInvest fertig zu werden.
»Bald«, antwortete ich und griff nach den Papieren.
Ich weiß noch, dass Kartoffelgesicht Sergei Borisowitsch gerade aus seinem Winterurlaub in Thailand zurückgekehrt war und wir eine PowerPoint-Präsentation seiner Fotos über uns ergehen lassen mussten. Zumindest soweit es das Geschäftliche betraf, waren wir mit uns zufrieden: Dem Kosaken hatten wir die zweite Kreditrate gewährt, und laut Inspektor Wjatscheslaw Alexandrowitsch würde er beim gegenwärtigen Tempo der Arbeiten vor Ort auch bald mit der restlichen Summe rechnen können. Vom Kosaken war uns daraufhin eine Kiste mit lebenden Krebsen geschickt worden (aus dem Meerwasser beim neuen Terminal, wie er behauptete). Und wenn ich aus meinem Turmfenster blickte, sah ich auf der gegenüberliegenden Platzseite eine Schar Winterdienstler in orangefarbenen Overalls, wie sie von den weißen Dächern den Schnee abfegten, die Firstschrägen hinaufkrochen und sich gefährlich weit in die Dachrinnen vorbeugten.
*
Die Zentralheizung sorgte im Schlafzimmer für eine Bullenhitze. Um kühle Luft einzulassen, hatte ich die Rüschenvorhänge beiseitegezogen und das Fenster geöffnet. Mascha lag auf mir, blickte, die Fäuste auf meine Brust gestemmt, an meinem Kopf vorbei zur Wand und atmete konzentriert wie eine Mittelstreckenläuferin.
Infolge meiner Erkältung hatte ich sie über eine Woche nicht gesehen, und ich nahm an, dass sie einige Tage nicht in Moskau gewesen war – meine Anrufe wurden direkt auf ihre Voicemail umgeleitet – was Mascha jedoch bestritt, als ich sie danach fragte. Plötzlich musste ich daran denken, was Olga mir erzählt hatte, begann mir Sorgen zu machen und wollte die Wahrheit herausfinden.
»Was ist MosStroiInvest, Mascha?«
»Was?«
»MosStroiInvest?«
»Was?« Sie krümmte sich nicht mehr, wippte nicht mehr auf und ab, keuchte aber noch. »Keine Ahnung.«
»Dieser Firma gehört das Haus in Butowo«, sagte ich, »und die Wohnung, in die Tatjana Wladimirowna einziehen will.«
Sie rollte sich von mir ab, blieb rücklings neben mir liegen und betrachtete die hieroglyphischen Risse an der Decke. Wir berührten uns nicht mehr.
»MosStroiInvest … Ich glaube, das ist Stepan Mikhailowitschs Firma. Oder die – wie sagt man? –, die vom Ehemann einer Schwester von Stepan Mikhailowitsch.«
»Von seinem Schwager.«
»Genau, Firma von seinem Schwager. Ja, ich glaube, so heißt Firma. Ja, MosStroiInvest.«
»Es ist besser, in solchen Dingen auf Nummer sicher zu gehen«, sagte ich, »Tatjana Wladimirowna könnte sonst ziemliche Schwierigkeiten bekommen.« Mit russischen Bauunternehmern gab es in jenen Tagen nämlich jede Menge
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