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Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Titel: Die eiskalte Jahreszeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.D. Miller
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Straßenstrich mit zu mir nach Hause zu nehmen, ohne dafür bezahlen zu müssen. Hass mich deswegen nicht. In London würde ich so etwas nie machen. Hass mich zumindest jetzt noch nicht.
    »Denkst du je über das hier nach, Steve?«, fragte ich. »Beunruhigt es dich nicht, wie wir hier draußen leben? Ich meine, fragst du dich zum Beispiel nie, was deine Mutter sagen würde, wenn sie dich sehen könnte?«
    »Meine Mutter ist tot.«
    »Du weißt, was ich meine.«
    »Russland«, sagte Steve, sah mich mit blutunterlaufenen Augen an und wurde plötzlich ernst, »ist wie Lariam. Du weißt schon, dieses Medikament gegen Malaria, von dem man wilde Träume kriegt und das dich aus dem Fenster springen lässt. Man sollte es nicht nehmen, Nick, wenn man allzu ängstlich ist oder zu viele Skrupel hat. Dann sollte man sich Russland wirklich nicht antun. Sonst geht man kaputt.«
    »Ich weiß genau, dass du Russland beim letzten Mal mit Polonium verglichen hast.«
    »Hab ich?«
    Er hörte mir schon wieder nicht mehr zu. Sein Blick klebte an der Tanzstange, um die eine Brünette mit nichts als einem Stetson, Lederchaps und in der Hand einem Lasso eine kleine Herde Blondinen in Kuhfellbikinis trieb. Steve winkte einer Kellnerin zu und tippte an sein leeres Glas, damit sie ihm noch einen Schuss moldawischen Merlot brachte.

ELF
    I rgendwann Mitte Februar fuhr Tatjana Wladimirowna erneut nach Butowo, diesmal, soweit ich weiß, mit Katja. Ich traf sie alle bald darauf, als wir im Park bei Kolomenskoje unweit der zugefrorenen Moskwa Ski fuhren. Du hast nicht gewusst, dass ich Ski fahren kann? Kann ich auch nicht.
    Wir ließen Tatjana Wladimirowna in einem schmuddeligen kleinen Café am Parkeingang zurück; und sie winkte uns fort, um sich dann Tee und Bliny zu bestellen. Mascha und Katja hatten ihre eigenen Ski mitgebracht, die länger und schmaler als jene waren, an die ich mich von meiner Woche Abfahrtslauf zu Studienzeiten erinnerte (Saufspiele, ins Waschbecken der Skihütte pinkeln, ein verknackster Knöchel). Ich lieh mir Ski von einem Kiosk am Tor, dazu ein paar Fellstiefel, die aussahen, als wären sie schon beim Einmarsch der Russen in Finnland getragen worden.
    Der entlang des Friedhofszauns auf meiner Straße aufgeworfene Schnee glich mittlerweile entfernt dem vielschichtigen italienischen Dessert, das du so gern magst: Oben weißlich, cremig darunter, dann folgt eine mit Müll gespickte Lage (Flaschenscherben, Chipstüten und einsame, abgelegte, in körnig weißer Lava gestrandete Schuhe), darunter dann, am Boden, eine Grundschicht übler, schwarzer Schmiere. In Kolomenskoje aber war der Schnee immer noch weiß, irrsinnig weiß. Bis auf die ersten zwei, drei Zentimeter war er hart, und es tat weh, wenn man hinfiel, was ich jedes Mal tat, wenn ich einen Hang hinabfuhr oder hinaufstapfte, wobei ich ein- oder zweimal auch die Brille verlor, um dann mit meinen monströsen Handschuhen im Pulverweiß herumzutappen und sie zu suchen.
    Bei Mascha und Katja wirkte das Skilaufen ganz natürlich, ebenso natürlich, wie sie auf hohen Absätzen dahingleiten und tanzen konnten. Sie lachten, wenn ich hinfiel, fuhren aber langsamer, bis ich sie wieder einholte. In einem Eichenhain stand eine Holzhütte im Park, die angeblich von Peter dem Großen erbaut worden war, außerdem eine alte Kirche, die man – was für all diese Gebäude zu gelten schien – zu Ehren irgendeines legendären Sieges über die Polen errichtet hatte. Die Kirche war geschlossen und von Gerüsten umstellt, doch hingen lange, makellose Eiszapfen wie Stoßzahnketten von den horizontalen Gerüstbrettern herab. Ein Mann mit einem Schlitten, glöckchenbehangen und von drei weißen Pferden gezogen, bot Fahrten in den Wald an. Meine Begleiterinnen trugen Skianzüge, dünne, wasserdichte Hosen und aerodynamische Jacken. Ich nicht, und ich begann zu schwitzen, dann wurden die Kleider klamm. Doch als wir auf einem Hügelkamm über einem See hielten, der zugefroren unter uns mitten in einem blattlosen Wald lag, kümmerte mich das nicht mehr. Es war atemberaubend schön.
    Als wir zum Café zurückkamen, gingen sie, wie ich mich erinnere, nacheinander auf die Toilette, um Jeans anzuziehen und sich um ihre Frisur zu kümmern, während ich an Tatjana Wladimirownas Seite allmählich wieder auftaute.
    »Gut gemacht, Kolja«, sagte sie, als wir erneut alle zusammensaßen. »Bald sind Sie einer von uns. Ein echter Russe.«
    »Vielleicht«, sagte Mascha. »Er kann zwar überhaupt nicht

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