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Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Titel: Die eiskalte Jahreszeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.D. Miller
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Arbeit, und wir hatten zusammen ein gutes Leben, aber letzten Endes …«
    »Genug davon«, sagte Mascha, als meinte sie es ernst, und zog ihre Hand fort.
    Unter ihrem grauen Pony huschten Tatjana Wladimirownas Blicke zwischen uns hin und her. Getauter Schnee machte den Boden zu unseren Füßen glitschig.
    Wir bestellten Wodka und ›Hering im Pelzmantel‹ (marinierter Fisch, begraben unter einem Belag Rote Bete und Mayonnaise). Wir besprachen die Vereinbarungen für den Wohnungstausch.
    Ich sagte, dass ich mich um die Eigentumsbescheide kümmerte und glaubte, in wenigen Wochen alle nötigen Unterlagen beisammenzuhaben.
    »Danke, Nicholas«, erwiderte Tatjana Wladimirowna. »Vielen herzlichen Dank.«
    Dann redeten wir über Geld.
    Ich glaube, es war das erste Mal, dass wir im Detail über Geld redeten. Mascha sagte, da die neue Wohnung in Butowo weniger wert sei als Tatjana Wladimirownas alte Wohnung, wolle ihr Stepan Mikhailowitsch fünfzigtausend Dollar geben. (In Moskau dachte und redete man damals in Dollar, bestach auch mit Dollar, zumindest, wenn größere Summen im Spiel waren; legale Transaktionen wurden allerdings in Rubel abgewickelt.)
    Anfangs sagte sie, sie habe keine Ahnung, was sie mit so viel Geld anfangen solle. Dann aber gab sie zu, dass ihre Pension nicht ausreiche, niemand komme mit der Pension aus – allerdings habe sie dank ihrer Arbeit ein wenig Geld gespart, und als Überlebende der Belagerung von Leningrad bekomme sie vom Staat eine kleine Rente zusätzlich, außerdem noch ein wenig für den Beitrag, den ihr Mann für die sowjetische Sache geleistet hatte. Trotzdem, sagte sie, wäre es nett, eines Tages nach Sankt Petersburg zurückkehren zu können …
    »Nimm es«, sagte Mascha.
    »Nimm es«, sagte Katja.
    »Tatjana Wladimirowna«, sagte ich, »ich finde, Sie sollten das Geld annehmen.«
    Erneut musterte sie unsere Gesichter. »Ich nehme es«, sagte sie dann und klatschte in die Hände. »Vielleicht fahre ich doch noch nach New York! Oder nach London!«, rief sie und blinzelte mir zu.
    Wir lachten und tranken.
    »Auf uns!«, sagte Tatjana Wladimirowna und leerte ihr Glas in einem Zug. Sie lächelte, und ihre feine Haut, immer noch straff über den hohen russischen Wangenknochen, erinnerte einen Moment lang an die Haut des glücklichen Mädchens auf dem Foto von der Krim im Jahre 1956 .
    *
    In jenem Februar – vierzehn Tage ehe meine Mutter zu Besuch kommen wollte – fing ich mir eine mörderische Moskauer Erkältung ein. Wie Musiker, die erst ein Solo spielen, ehe sie gemeinsam das Finale anstimmen, stellte sich jedes Symptom einzeln vor: die laufende Nase, dann der schmerzende Hals, darauf die Kopfschmerzen und schließlich alles zusammen. Mascha verordnete mir Cognac mit Honig und verbot Blowjobs. Ich musste zwei, drei Tage im Bett bleiben, sah mir lustlos einige DVD s mit amerikanischen Spielfilmen an und hörte das Dröhnen eines Schneepflugs durchs Fenster dringen, den Lärm der vorsintflutlichen Mülllaster und manchmal, von unten, Georges trauriges Miauen.
    Als ich wieder ins Büro im Paweletskaja-Turm kam, hockte Olga, die Tatarin, auf dem Rand meines Schreibtisches und zeigte mir die Papiere, die sie mittlerweile für Tatjana Wladimirownas neue Wohnung beisammenhatte. Die Privatisierung sei legal gewesen, bestätigte eine Bescheinigung, eine weitere hielt fest, dass der Bürgermeister gegenwärtig nicht die Absicht hegte, das Gebäude einreißen zu lassen. Ein dritter Bescheid belegte, dass außer Tatjana Wladimirowna niemand das Recht hatte, dort zu wohnen. Auf einer der Listen stand neben ihrem Namen der ihres Gatten, doch war er durchgestrichen, und jemand hatte darüber das Wort ›verstorben‹ geschrieben. Wir konnten nun ebenfalls die bautechnischen Unterlagen mit den Abmaßen der Räume vorweisen, den Lageplan und die Einzelheiten hinsichtlich Wasserrohre und Stromleitungen. Wie ein modernes Gemälde mit Farbklecksen waren sämtliche Unterlagen mit Stempeln übersät. So viele Papiere, dachte ich, und trotzdem gehörte einem die Wohnung nicht endgültig. Der Zar, der Präsident oder wer sonst gerade an der Macht war, konnte sie einem wieder nehmen, wann immer ihm danach war.
    »Was brauchen wir noch?«, fragte ich Olga.
    »Jetzt fehlt nur noch der Übertragsbescheid vom Grundstücksamt. Und die alte Dame muss sich von einem Arzt bescheinigen lassen, dass sie weder betrunken noch verrückt ist.«
    Das sei nötig, erklärte Olga, weil die Russen manchmal ihre

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