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Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Titel: Die eiskalte Jahreszeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.D. Miller
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Tatjana Wladimirowna zeigte uns ein paar Tänze aus der Kriegszeit, einen Walzer, glaube ich, an den anderen Tanz kann ich mich nicht erinnern. Erst tanzte sie mit mir, Mascha klatschte, Katja lachte, dann zeigte sie den Mädchen nacheinander die Schritte. Anschließend rückten wir im Wohnzimmer den Couchtisch von Ikea an die Wand, damit wir alle zusammen tanzen konnten, meist ich mit Mascha in ihrem hellgrünen Sommerkleid, Tatjana Wladimirowna mit Katja. Tatjana Wladimirowna schwitzte und lachte und wirbelte Katja herum, als sei sie noch ein Teenager, und ein-, zweimal stieß sie einen hohen, seltsamen Bauernschrei aus, einen Laut, der irgendwo hinten aus ihrer Kehle und tief aus ihren Genen zu kommen schien.
    Schließlich warfen wir uns zu dritt aufs Sofa; sie schnappte nach Luft und rief: »Bravo, Kinder. Bravo. Und vielen Dank.«
    Ich hatte immer gefunden, dass sie einem übel aufstieß, diese Kriegsbesessenheit der Russen, doch an jenem Nachmittag begriff ich, dass Tatjana Wladimirownas Ausgelassenheit nichts mit Stalin, der Ostfront oder Ähnlichem zu tun hatte. Es ging um verlorene Lieben und verlorene Jugend, um Trotzverhalten und darum, dass sie 1956 nach Jalta gefahren war.
    Nach dem Tanzen holte Mascha die Dokumente.
    »Tatjana Wladimirowna«, sagte sie, »das sollst du wissen: Kolja hat alle Papiere zusammen für die neue Wohnung in Butowo. Die Besitzurkunde, die Bauzeichnung – alles, was nötig ist, um zu beweisen, dass der Wohnungstausch legal ist und ohne Probleme. Hier.« Sie hielt einen Packen Papiere hoch und breitete ihn aus wie eine Sankt Petersburger Herzogin ihren Fächer. »Außerdem haben wir sämtliche Dokumente für die alte Wohnung beisammen, die Stepan Mikhailowitsch vorgelegt werden müssen.« Sie hielt den Ordner hoch, den Olga, die Tatarin, zusammengestellt und den ich ihr kurz zuvor gegeben hatte.
    »Zeig sie ihr, Kolja«, forderte Katja mich lächelnd auf.
    »Ja, bitte, Nikolai«, sagte Tatjana Wladimirowna. »Sie sind bestimmt in Ordnung alle, aber es wäre nett, wenn Sie mir die Papiere erklären. Dann bin ich auch ganz beruhigt.«
    »Na dann, Kolja«, sagte Mascha und reichte mir den Fächer Papiere sowie den Aktenordner.
    Ein Dokument, das man in Russland nicht kaufen kann, muss noch erfunden werden. In der Unterführung, die von der Metro-Station Paweletskaja zu dem dämlichen Turm führt, in dem ich arbeite, kann man Collegediplome kaufen, Aufenthaltsbescheinigungen und Urkunden, die belegen, dass man Facharzt für Hirnchirurgie ist. Manchmal sind die Fälschungen sogar echt, zumindest insofern, als sie von korrupten Beamten echter Universitäten, auf dem Bürgermeisteramt oder in der Kreml-Verwaltung selbst ausgestellt wurden (es gibt einen regen Markt für unbeschriebenes Behördenpapier aus den neunziger Jahren, auf dem zurückdatierte Verträge mit zeitlich korrektem Wasserzeichen ausgestellt werden können). Manches sind plumpe Fälschungen. Ich weiß nicht, woher Mascha die Dokumente für Butowo hatte, die ich an jenem Nachmittag zum ersten Mal sah. Sie wirkten ziemlich überzeugend, verfügten über all die richtigen Insignien sowie eine Reihe plausibel aussehender Stempel. Vielleicht waren die Unterschriften ein bisschen seltsam, auch der Schatten, den ein Fotokopierer manchmal in ein, zwei grauweißen Ecken hinterlassen hatte, doch war nichts allzu auffällig oder gar besorgniserregend.
    Ich breitete den Papierkram aus und setzte mich mit Tatjana Wladimirowna an den Küchentisch. Zuerst gingen wir die Dokumente für die alte Wohnung durch. Dann zeigte ich ihr die Broschüre, die die Annehmlichkeiten der Wohnung in Butowo auflistete, sowie den Bescheid, dem zufolge niemand außer ihr selbst für die Wohnung registriert war. Und das Schreiben, das Stepan Mikhailowitsch als jetzigen rechtmäßigen Besitzer auswies.
    Es war ein schöner Nachmittag, und es wäre schade gewesen, ihn zu verderben. Wir flogen nach Odessa, und uns das zu verderben, wäre auch schade gewesen. Außerdem wäre es gar nicht so ganz einfach gewesen, hinter das zurückzufallen, was wir bereits erreicht hatten. Die Wirklichkeit aber war zugleich schlimmer und schlichter als jede dieser Erklärungen. Ich muss sagen, dass es mir völlig belanglos schien, am Siegestag mit Tatjana Wladimirowna diese Papiere durchzugehen. Es kam mir unvermeidlich vor, beinahe zwangsläufig. Ich weiß, wie sich das anhören muss, aber weiter kann ich nichts dazu sagen.
    »Ausgezeichnet«, sagte sie, sobald wir alles

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