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Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Titel: Die eiskalte Jahreszeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.D. Miller
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Flughafengelände zu verlassen. Als wir mit dem Taxifahrer von der sowjetischen Ankunftshalle zum Wagen gingen, fragte er mich, ob ich ein paar Mädchen kennenlernen wollte. Die Tatsache, dass ich bereits mit zwei Frauen unterwegs war, schien ihn nicht zu stören.
    Ich glaube, es war das erste Wochenende im Juni. Kurz bevor wir aus Moskau abflogen, schneite es erneut – der Ende-Mai-scheiß-auf-euch-Schnee, mit dem Gott die Russen wissen lässt, dass er mit ihnen noch nicht fertig ist. In der Fred-Feuerstein-Flugmaschine war es jedenfalls heiß wie in einer
banja
. Irgendwo nahe an meinem Ohr wurde ein schrilles Motorengeräusch immer lauter, was auf unseren unvermeidlichen Absturz hinzudeuten schien. Ich saß am Gang neben einem irren, fetten ungarischen Geschäftsmann, der mich in der ersten halben Stunde pausenlos anstierte und in vier, fünf verschiedenen Sprachen beschimpfte, als hätte er es auf eine Prügelei abgesehen. Dann beruhigte er sich, wischte sich die Stirn und beklagte sich über die Veränderungen in der Ukraine, seit der neue Präsident im Amt war (du hast ihn vielleicht in den Nachrichten gesehen – dieser Typ, den die Russen vergiften wollten, wodurch sein Gesicht verschandelt wurde). Laut diesem Ungarn war die Ukraine einfach nicht mehr korrupt genug. »Vor sechs Monaten«, klagte er, »wusste ich genau, wer wann wie viel für was verlangt. Jetzt ist es unmöglich, irgendwas erledigt zu bekommen.«
    Das Flugzeug roch nach Schweiß und Cognac. Eine Stewardess platzierte sich neben der hinteren Toilette, um für ein kleines Entgegenkommen den Raucheralarm auszuschalten. Als wir zur Landung ansetzten, tanzten zwei betrunkene Russen im Gang einen Stepptanz, was die Passagiere mit einem Applaus belohnten.
    Die frühe Sommerwärme des Schwarzmeers leckte über meine Haut, als wir die Stufen hinab- und über den rissigen Asphalt stolperten. Es war nicht richtig heiß, noch nicht, fühlte sich aber an wie das Paradies. Mich überkam das alte, kindliche Gefühl des Deplatziertseins, ein Gefühl, an das ich mich von zwei, drei Familienausflügen an die Costa Brava erinnere – ein innerliches Glühen entschuldigter Ungehörigkeit, weil man es an einen Ort geschafft hatte, an den man eigentlich nicht gehörte, weil man irgendwie mit irgendwas davongekommen war.
    Ich hatte es geschafft. Ich war in Odessa: Theoretisch eine Stadt in der Ukraine, für die Russen aber immer noch ihr märchenhaftes Nirwana der Ausschweifung und Zerstreuung. Mascha und Katja schlenderten vor mir in Miniröcken und hochhackigen Riemchensandalen, die sie noch im Flugzeug angezogen hatten, rollten Handgepäckkoffer hinter sich her, Louis-Vuitton-Imitate, trugen Filmstarsonnenbrillen, ein einladendes Lächeln und, da bin ich mir ziemlich sicher, keine Unterwäsche. Mascha hatte einen grellroten Sonnenschirm aufgespannt, der im Takt mit ihrem Hintern wackelte.
    Sie sahen aus, als gäbe es etwas zu feiern. Sie hatten es fast geschafft.
Wir
hatten es fast geschafft. Als wir nach Odessa flogen, mussten wir nur noch einige Male zur Bank, dann war es vorbei.
    Der ukrainische Grenzbeamte hatte seine Not mit meinem exotischen Pass. Eine alte Frau hinter mir in der Schlange klopfte mir auf die Schulter und fragte langmütig: »Müssen Sie den Mann vielleicht bezahlen, mein Junge?« Schließlich aber bekam ich meine Stempel und ging durch den Zoll, um mich wieder den Mädchen anzuschließen. Ich entdeckte sie in der Ankunftshalle, wo sie mit einem Taxifahrer verhandelten (goldene Schneidezähne, ganzjährige Lederjacke, blitzende Schuhe, so spitz, dass man damit ein Schloss knacken könnte).
    Wir gingen zum Parkplatz, als er mich fragte: »Möchten Sie ein paar Mädchen kennenlernen?«
    Ich lachte wie ein nervöser Ausländer. Katja lachte ebenfalls.
    »Möchtest du?«, fragte Mascha in einem Ton, den ich nicht von ihr kannte, ironisch, aber irgendwie auch verärgert, spöttisch, endgültig. »Möchtest du ein paar Mädchen kennenlernen, Kolja?«
    *
    Gegen Ende April, also etwa fünf Wochen, ehe wir nach Odessa flogen, wurden in Moskau die Zentralheizungen abgestellt. Ich war zu Hause mit Mascha – sie trug meinen Morgenmantel und sah sich im Fernsehen eine Doku-Soap an, während ich mich über ein leichtes Vorspiel mit meinem neuen Blackberry freute – als wir das bezeichnende Klacken in den Heizrohren hörten, ein knapper, deutlicher Laut: Der Startschuss für den Sommer, für Lust und Leben, die nun hektisch in ein paar warme,

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