Die Eiskrone
dahin, und seit der Rast am Paß hatten sie nichts mehr gegessen. Roane war hungrig, und sie glaubte, schon seit Jahren zu reiten oder zu laufen. Ihre Gefährten schienen jedoch nicht müde zu werden.
Plötzlich blieb Imfry stehen und hob eine Hand. Ein Duocorn wieherte. Dann hörte Roane einen hallenden Hornruf.
8
Roane stand am Fenster und strich über die weichen Falten der schweren Vorhänge. Der Luxus tat ihr wohl. Ihr war, als komme sie aus der Kälte in die behagliche Wärme eines Kaminfeuers. Es war früh am Morgen, und das ganze Haus schien noch zu schlafen. Auf der Straße unten herrschte jedoch schon reges Leben.
Ein Junge sprengte mit einer Gießkanne die Pflastersteine, und eine Frau mit langen, weiten Röcken tat einen erschreckten Satz, weil der Junge nicht aufpaßte. Sie ging mit langen, schwingenden Schritten und trug einen Korb auf dem Kopf.
In der vergangenen Nacht hatten sie das Haus erreicht. Es war aus Stein gebaut, sehr weitläufig und mindestens drei Stockwerke hoch. Die Fenster im Unterstock waren sehr schmal. Der Hof war gepflastert, und der einzige Farbfleck war das bunte Emblem von Reveny an der Hausmauer.
Den Gesandten, von dem Ludorica soviel hielt, hatte sie noch nicht gesehen. Ihr hatte man einen behaglichen Raum und eine geschickte Dienerin zugewiesen, aber trotz allem konnte sie ein leises Gefühl der Unruhe nicht abstreifen.
Sie kam sich vor wie in einem Traum. Anfangs war es mehr ein Alptraum gewesen. Als das Horn ertönte, versteckten sie sich. Ein Reitertrupp kam vorbei; die Prinzessin und der Colonel erkannten zwei der Reiter und waren dann ziemlich besorgt, obwohl sie Roane den Grund ihrer Besorgnis nicht sagten. In ihrem Versteck hatten sie bis zum Anbruch der Nacht gewartet. Dann waren sie zum Teil sogar über Felder geritten, um zu einer Straßenkreuzung zu gelangen. Hier überholte sie ein Fahrzeug, dessen Vorhänge geschlossen waren. Vier riesige Duocorns zogen den großen, kastenförmigen Wagen.
Ihr Bote saß neben dem Kutscher auf dem Bock und winkte der Prinzessin zu.
»Sagte ich nicht, daß Lord Imbert uns willkommen heißen und uns einen Wagen schicken wird?« rief sie. »Ah, jeder Knochen im Leib tut mir von dem langen Ritt weh.«
Da der Wagen heftig rüttelte, fand ihn Roane nicht behaglicher als das Reittier. Er hatte keine Federung, doch die Prinzessin störte das nicht. Sie lehnte sich bald zurück und schlief.
Zweimal wechselten sie die Tiere aus, und einmal wurde ein Korb mit kaltem Essen hineingereicht.
Um Mitternacht waren sie in Gastonhow angekommen, und Roane ließ sich auf das breite Bett fallen, kaum daß man ihr das Zimmer angewiesen hatte. Trotzdem war sie sehr früh aufgewacht.
Das Bett war riesig groß. Da sie im Lager oder im Raumschiff immer nur ganz wenig Platz für sich hatte, war sie nicht daran gewöhnt. Es stand auf einer Estrade und hatte vier geschnitzte Pfosten und einen Betthimmel, von dem reiche Vorhänge herunterhingen, die sie aber nicht zugezogen hatte.
Alle Farben waren hell und fröhlich, für ihren Geschmack fast sogar eine Spur zu grell. Die Wände waren in den gleichen Farbtönen bemalt. Ein Tisch stand da mit einem breiten Spiegel, und davor ein Hocker. Dann gab es noch einen großen Schrank mit Doppeltüren, etliche Stühle und ein paar kleinere Tische.
Man hatte ihr ein weiches, weißes Nachthemd gegeben, ähnlich dem, das die Prinzessin getragen hatte, als sie entführt wurde. Ihr wettergebräuntes Gesicht und ihre Hände sahen darin noch dunkler aus als sonst. Das kurze Haar war ein wenig gewachsen, und über der Stirn und hinter den Ohren hatte sie flaumige Locken. Sie sahen sehr komisch aus, denn sie waren von einem blassen Blond, das im Licht rötlich-golden schimmerte.
Nach den Begriffen ihres Volkes war Roane nicht schön. Sie hatte sehr früh gelernt, diese Tatsache zu akzeptieren. In der Wildnis, in der sie fast immer herumschweifte, brauchte sie keine kosmetischen Hilfsmittel, welche die Frauen auf allen inneren Planeten so freigebig benützten. Neben der Prinzessin sah sie sehr unbedeutend aus, das wurde ihr erst jetzt klar.
Auf dem Tisch standen Töpfchen und Fläschchen in reicher Auswahl. Sie schnupperte daran herum, und ein kleiner, gelber Topf gefiel ihr besonders gut. Er enthielt eine sehr angenehm duftende Paste. Es gab Töpfchen mit Pasten in verschiedenen Rottönen, die man vielleicht für Wangen oder Lippen brauchte, obwohl sie noch keinen Menschen auf Clio gesehen hatte, der sich
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