Die Eiskrone
seinen Stunner. Und wenn die Prinzessin und Reddick schon im Tunnel wären? Diese Frage stellte sie ihrem Onkel.
Aber er funkelte sie nur wütend an. Früher hätte er sie damit eingeschüchtert, aber jetzt war Onkel Offlas für sie kein Superwesen mehr.
Er schien selbst nicht zu wissen, was er tun sollte. Roane wunderte sich, warum er nicht mit dem Stunner im Anschlag dem Colonel folgte, aber da geschah etwas, das im Augenblick jede Überlegung zunichte machte.
Etwas krachte und knisterte, und Roane musterte die Säule mit der Eiskrone. Die glitzernde Miniaturkrone funkelte in so blendendem Licht, daß Roane die Augen abwenden mußte, und an den Maschinen selbst blitzten bunte Lichter in rascher Folge auf. Es krachte erneut, und dann beruhigten sich die Lichter wieder.
Onkel Offlas sah entgeistert zu und richtete endlich den Tridi-Empfänger auf die Krone; doch auch hier war das blendende Licht erloschen.
Roane wußte, was geschehen war. Die Krone war gefunden. Aber wer hatte sie gefunden? Die Prinzessin? Sandar? Oder Imfry?
Rufe und deren Echo kamen nun aus dem Tunnel, auch ein Schrei. Fand vielleicht ein Kampf zwischen Reddicks und Imfrys Männern statt? Sie sah ihren Onkel an, der ganz in sein Gerät vertieft schien.
»Mindestens fünf große, ausgeprägte Veränderungen«, murmelte er vor sich hin. »Eine vollkommen neue Entwicklung.«
Eine neue Entwicklung? Die Prinzessin? Reddick? Aber Roane würde sich nicht noch einmal in etwas hineinziehen lassen!
Das sagte sie sich, als sie zur Tür ging. Und hier ließ sie sofort das Instrument, das sie ihrem Onkel hätte bringen sollen, aus der Hand fallen, und dann rannte sie. Sie handelte aus einem inneren Zwang heraus. Und sie hatte geglaubt, sich fest in der Hand zu haben!
Sie erreichte das Ende des Korridors und bemerkte einen scharfen, beißenden Geruch. Mit dem schußbereiten Stunner in der Hand quetschte sie sich durch den engen Gang, blieb immer wieder lauschend stehen, vernahm schließlich gedämpfte Stimmen und bemerkte den Schimmer einer Fackel. Sie kroch weiter, bis sie die Höhle überblicken konnte, wo sie das Skelett gefunden hatte.
Hier war ein Loch gegraben, durch das schwaches Tageslicht fiel. Die Fackeln benützte man dazu, um eine Spalte in der Wand abzuleuchten, wo vorher das Skelett gelegen hatte. Und vor dieser Spalte stand Ludorica.
In den Händen trug sie das Ebenbild der Eiskrone auf der Säule. Sie war so groß, daß sie auf einen menschlichen Kopf passen mußte. Im Licht der Fackeln schien sie Feuer zu sprühen. Auf dem Gesicht der Prinzessin lag ein Ausdruck entrückter Verinnerlichung, den Roane noch nie an ihr gesehen hatte. Gier? Nein. Es war der Ausdruck eines Gefühls, das Ludorica dem Wesen nach fremd zu sein schien, das nicht anzog, eher abstieß. Und trotzdem war ihre Entrücktheit wie ein seltsamer Zauber, der ans Herz griff.
Ludorica schien nur noch das zu sehen, was sie in den Händen hielt, nichts und niemanden sonst. Neben ihr stand ein schwarzgekleideter Mann, der sie und die Krone fasziniert anstarrte. Auf der anderen Seite erkannte sie Reddick. Er hatte eine jener alten Waffen in der Hand, und aus ihrem Lauf stieg noch ein dünnes Rauchwölkchen.
Zwei von Imfrys Männern lagen an der Wand in Roanes Nähe. Und der Colonel selbst lehnte mit dem Rücken am Felsen, als bedürfe er dieser Stütze. Ein Arm hing schlaff herunter, und an seiner Schulter breitete sich ein großer Blutfleck aus. Zwei von Reddicks Männern hatten ihn gefesselt, zwei weitere bewachten Imfrys restliche Leute.
»Der König ist tot – lang lebe die Königin!« rief Reddick. Dann berührte er Ludoricas Arm. »Meine Königin, was sollen wir mit jenen tun, die den Schatz von Reveny entführen wollten?«
Sie hob den Blick nicht von der Krone, und ihre Stimme klang dünn und kalt, als spreche sie aus einer Distanz, die alles – außer der Krone – für sie unwichtig werden ließ. »Da ich die Königin bin, sollen sie als Verräter behandelt werden, denn sie griffen nach der Krone!«
Reddick lächelte, aber der Colonel und seine Leute waren erschüttert. Sie schienen nicht glauben zu können, was sie soeben gehört hatten.
»Der König ist tot, und die Königin hat gesprochen«, sagte Reddick so, als sei er ein Richter, der ein Urteil zu sprechen habe. »Sie sollen wie Verräter behandelt werden, meine Königin. Aber das hier ist kein Platz für Euch. Wir wollen reiten und dem Volk zeigen, daß ihr die Gekrönte seid.«
»Ja«, antwortete
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