Die Eiskrone
einiges von dem, was die Psychokraten mit ihrem Menschenmaterial angestellt hatten, aber bei weitem nicht alles. Man konnte geduldig reprogrammieren; ein abruptes, vollständiges Abschalten war eine andere Sache. Clio konnte allmählich aus dem Nebel der Konditionierung herausgeführt werden – aber mit einem Schlag?
»Es gab ein Land an der See, Arothner …« Sie berichtete Onkel Offlas die Geschichte, die sie von Ludorica gehört hatte.
Onkel Offlas nickte. »Siehst du, die Krone regiert die Regenten direkt, die Untertanen indirekt. Zerstöre die Krone – und sie sind nur noch Holzpuppen. Diese Eiskrone war seit Generationen verschwunden, aber sie existierte noch. Als sie gefunden wurde, veränderte sie sofort das Wesen der Prinzessin, um sie dazu zu befähigen, das Land wieder in die ihm vorbestimmte Zukunft zu lenken. Vielleicht liegt eine gewisse Notwendigkeit …«
»Notwendigkeit? Ist es notwendig, daß Reddick den Diktator spielt? Ludorica hat sich sehr verändert. Und hieß es nicht, die geschlossenen Planeten hätten durch die Manipulation nur einen gewissen Hintergrund bekommen, auf dem sie sich dann frei entwickeln konnten? War das nicht der Sinn des Experiments? Wollte man nicht die Reifung eines Volkes beobachten?«
»Das war unsere Konzeption – bis wir diese Entdeckung hier machten. Wir scheinen damit aber nicht recht zu haben. Wir suchten nach Hinterlassenschaften früherer Forschungsgruppen, aber gefunden haben wir etwas ganz anderes. Vielleicht hat es den gleichen Wert. Und vielleicht ist es ein Experiment, das sich immer wieder selbst erneuert.«
Er wandte sich zum Aufnahmegerät um. »Ich muß meinen Bericht machen. Aber vergiß nicht – keine Einmischungen mehr, Roane! Wenn du dich nicht daran halten willst, dann können wir dich ja lähmen, bis wir auf dem Schiff zurück sind. Und laß deinen Gürtel hier.«
Damit entzog er ihr alles, was sie zu unabhängigem Handeln gebraucht hätte. Roane nahm den Gürtel ab.
»Und du richtest jetzt besser doppelte Rationen her, verstanden?« fügte er noch hinzu.
Sie gehorchte. Die Wirkung der Erfrischungsdusche ließ nun allmählich nach, und jetzt fühlte sie sich müde und schwach. Wie sollte sie in diesem Zustand Hitherhow erreichen können? Und wenn sie nicht einmal mehr einen Stunner hatte – wie sollte sie gegen den Befehl ihres Onkels revoltieren?
Sandar kehrte zurück, und sie brachte ein Tablett mit Essen.
Der Onkel stand am Kommunikator. »Ich verstehe nicht, daß sie sich nicht melden! Sie hätten doch eine Warnung durchgegeben, wenn sie eine Krise befürchteten.«
»Ein Deformer arbeitet noch mit einem Viertel der Energie«, meldete Sandar. »Die übrigen sind tot. Da geht irgendwo Energie verloren … Daß sie so bald erschöpft sein sollten …«
»Möglich wäre, daß etwas in der Nachbarschaft … Von diesen Installationen wissen wir ja kaum etwas«, sagte Sandars Vater.
»Ja, genau! Aber der Prozeß könnte auch umgekehrt sein.
Wir könnten dort Energie abzapfen und eine Kraftfeldwand aufbauen, bis das Signal zum Rückzug kommt.«
»Viel zu riskant! Schlecht ist der Gedanke aber nicht. Aufladen können wir die Deformer nicht, ohne unseren Kommunikator zu schädigen. Und in einem ungeschützten Lager bleiben? Das paßt mir nicht.«
»Ein besseres Versteck vielleicht?«
»Möglich. Außer wir bekommen sehr schnell Antwort.«
»Der Wald hier scheint aber sauber zu sein. Wir können zur Höhle zurückkehren und ein Abweisgerät am Eingang aufstellen. Ihre Krone haben sie ja. Sie kommen bestimmt nicht zurück.«
Roane verschwand mit ihrem Essensanteil in ihre Zelle. Obwohl sie hungrig war, kaute sie nur lustlos daran herum. Sie war damit noch nicht fertig, als sie schon schlief.
Sie träumte. Es war ihr lebhaftester, echtester Traum, an den sie sich erinnern konnte, obwohl sie darin nur ein Zuschauer war.
Ihr war, als sei sie durch einen Vorhang aus Schlaf in einen Raum gekommen, der aussah wie jener im Haus des Gesandten in Gastonhow. Es waren reichgeschnitzte Stuhle mit hohen Lehnen da, die mit Metallintarsien oder mit bunten Malereien geschmückt waren. Die Wand hinter den Stühlen war mit Tapeten behangen, auf denen Männer auf Duocorns ritten und irgendein Wild zu jagen schienen, das hinter Bäumen verschwunden war. Die Tapete sah ebenso verblichen aus wie die bunten Malereien.
Doch Roane sah alles so klar, als stehe sie dicht daneben. Ein langer Tisch war zu sehen; er war aus rotem Stein, und die Platte wies
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