Die Eiskrone
eine unglaubliche Geschichte«, meinte er nachdenklich, und sofort versuchte sie sich seinem Griff zu entziehen, weil sie fürchtete, er glaube ihr nicht. Seine Finger schlossen sich aber fester um ihr Handgelenk. »Ich weiß jedoch, das sie wahr ist. Sie sagten, Sie seien keine Seherin – nach den Maßstäben Ihres Volkes mag das auch zutreffen. Aber meine Familie hat etwas von dieser Gabe. Wir haben eine sehr merkwürdige Tradition, die wir seit vielen Generationen als Geheimnis betrachten.
Ich würde sonst mit keinem Menschen, auch nicht dem besten Freund, darüber sprechen, doch Ihnen kann ich es sagen, denn Sie werden es nach dem, was Sie mir erzählten, verstehen. Wir verehren die Hüter und betrachten sie als göttliche Wesen. In meiner Familie wird erzählt, daß sie in direkter Linie von einem Diener der Hüter abstammt, und diese Hüter seien nicht unsterblich gewesen, sondern sie hatten Körper so wie wir. Und dieser Diener der Hüter hatte für sie einige Aufgaben zu erledigen, die das Leben in Reveny regelten.
Als die Menschheit hier auf den Befehl der Hüter zu leben begann, da hatte mein Urahne nebelhafte Erinnerungen an andere Zeiten und Orte. Er versuchte diese Erinnerungen zu bewahren, gab sie an seinen ältesten Sohn weiter, und so kamen sie bis auf mich. Es gibt noch andere Dinge. Aus meiner Familie stammten einige Wahrsager, und deshalb weiß ich, daß die Königin nicht mehr so war wie früher, als sie die Krone fand und mein Todesurteil unterschrieb.
Und nun erklären Sie mir, daß sie nicht dem Einfluß der Geistkugel unterlag, sondern daß sie und Reddick und wir alle nur Spielsteine sind, die nach dem Willen längst Verstorbener bewegt werden, die kein Recht hatten, unsere Vorväter einem solchen Zwang zu unterwerfen. Aber Sie befürchten, daß die Zerstörung dieser Einrichtungen auch uns vernichten wird.«
»Das hat mein Onkel gefürchtet. Er will die Fachleute des Service herbeiholen. Die sollen diese Installationen untersuchen und sie unschädlich machen – falls sie kommen.«
»Falls sie kommen!« Das klang bitter. »Hätten Sie nicht diesen Zwang durchbrochen, dann müßten wir für ewige Zeit unter der Zwangsherrschaft surrender Maschinen leben. Welches Recht haben sie, eine solche Sklaverei zu dulden? Oder sind sie selbst Sklaven eines anderen Willens? Wie ist es auf anderen Sternen? Gibt es dort auch keine Freiheit?«
Er wiederholte damit nur ihre eigenen Gedanken der letzten Zeit …
»Und diese Männer des Service, die da kommen sollen – es würde wohl Jahre dauern, bis sie kommen, und noch länger, ehe sie etwas tun? Das ist doch so?«
»Ja.«
»Und wir müßten immer noch Sklaven bleiben. Ludorica, die im Herzen gut ist, würde Böses tun, Reddick, der böse ist und einen Krieg heraufbeschwören will, würde vielleicht die Königin töten, um selbst die Krone tragen zu können. Nein! Ich werde tun, was mir möglich ist, um das zu verhindern. Aber wenn diese Maschinen meinem Willen entgegenstehen, dann bin ich schon geschlagen, ehe ich beginne.«
»Diese Maschinen können zerstört werden.«
»Arothner und die verlorene Krone …«
»Diese Geschichte hat mir die Prinzessin erzählt.«
»Dann wissen Sie auch, was dort geschehen ist. Und diese Gefahr für Reveny, für unsere ganze Welt …«
»Es muß nicht ebenso gehen wie dort. Eine verlorene Krone ist etwas anderes als eine abgestellte Maschine.«
»Aber das Risiko ist viel zu groß …«
»Sie haben zu wählen, Colonel.« Sie hatte getan, was sie konnte.
Nun entwand sie ihm ihre Hand, aber sie fühlte sich ohne die Wärme seiner Finger einsam und verloren. Für sie gab es keinen Weg zurück. Sie war in einem Gefängnis eingesperrt, zu dem sie selbst Stein auf Stein gelegt hatte. Und doch konnte sie nichts von dem bedauern, was hinter ihr lag.
Roane lehnte die Schulter an die harte Mauer, zog die Knie an und legte ihren Kopf auf die Arme. Aus der Leere, die sie fühlte, wurde eine unendliche Müdigkeit.
Trotzdem konnte sie nicht einschlafen. Die Gedanken kamen und gingen. Ihre ganze Vergangenheit lief in kleinen Bildausschnitten vor ihr ab; ihr war, als sei sie von jeher nur ein Teil eines Planes gewesen, den Onkel Offlas ihr aufgezwungen hatte, als er sie in sein Leben hineinzog. Stimmte es, was Nellis gesagt hatte, daß es nirgends Freiheit gebe? Aber die Bestimmungen des Service verboten ausdrücklich jede Einmischung in die Angelegenheiten einer Welt, die mit sich selbst zu kämpfen hatte.
Zwang,
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