Die Eisläuferin
locker, ich bin es ja auch.«
Er nahm sein Headset ab und gab seinen Kollegen Zeichen, indem er mit der flachen Hand nach unten wippte.
Sie blieb vor ihm stehen. »Hören Se mal, was ist denn das für eine Veranstaltung hier?«
»Entschuldigung?«
»Na, was sagen Se denn, wenn Sie jemand fragt?«
Es war ihm sichtlich peinlich. Und dann kam es wie aus der Pistole geschossen: »Tag der offenen Tür. Schauen Sie sich ruhig um. Wir laden Sie ein.« Er machte eine ausholende Geste und versuchte zu lächeln.
»Was für eine schöne Idee, hätte es früher nicht gegeben. Weiter so!«, und sie ließ ihn etwas verwundert stehen, schritt stattdessen zu den Schaukästen, die unweit des Eingangs im Foyer aufgebaut waren.
Die Menschen traten zur Seite, als sie sich näherte, und gaben den Blick frei auf eine Reihe seltsamer Gegenstände: silberne Teller und Kannen, ein handbemaltes Schachspiel, eine alte Truhe mit kostbaren Ölen und Parfums. Exponate eines Museums, das man vielleicht sponserte? Nur welches? Eine einheitliche Stilrichtung, eine gemeinsame Epoche ließen sich nun wirklich nicht erkennen. Sie blieb vor einem alten Filmvorführapparat in einem eigens dafür angefertigten Holzkasten stehen. Daneben lag eine Reihe von seltsam bunten Filmkassetten. Sie legte den Kopf schräg, konnte |141| winzige Buchstaben erkennen, aber nicht deren Sinn verstehen. Es war zu dumm.
Ein kleines Mädchen, wahrscheinlich schon im lesefähigen Alter, stand nah genug neben ihr. Sie sprach es an: »Wie heißt du?«
Die Antwort kam prompt: »Nicole. Ich bin acht Jahre und gehe auf die Albert-Einstein-Schule.«
Nun, das gab Hoffnung. »Schön. Nicole, was meinst du, was wir hier sehen?«
Die Kleine zeigte auf ein großes weißes Schild über den Vitrinen: »Das sind Staatsgeschenke!«
O Gott, sie hatte es befürchtet. »Tatsächlich? Nun, wenn du es sagst, wird es so sein, nicht wahr? Kannst du denn schon lesen, was hier auf der Vitrine mit dem großen Holzkasten und auf den Kassetten steht?«
Die Menge war begeistert, kam näher heran an die beiden. Nicole würde morgen in allen Zeitungen stehen. Etwas stockend las sie vor: »Hello Dolly«, »Singin’ in the Rain«, »Guys and Dolls«, »Meet me in St. Louis«, »Mamma Mia«. Und dann beugte sie sich über das Schild: »Vom Präsidenten der Vereinigten Staaten George W. Bush anlässlich …«
Das reichte völlig. Mitunter hatte eine Leseschwäche auch ihre Vorteile, und manche Erinnerungen waren entbehrlich. Sie legte die Hand auf die Schulter der Kleinen, bedankte sich, gab ihr einen Stups auf die Nase und ging langsam weiter.
O Gott, was sollten bloß die Leute denken? »Guys and Dolls«? Nein, darüber wollte sie unmöglich mit den Menschen ins Gespräch kommen. Sie schaute sich um. Im hinteren Teil des Foyers gab es ein wunderbares Gemälde einer Menschenmenge vor dem Parlament, als wäre es gestern gewesen, darunter Ausstellungsobjekte, die alte Erinnerungen weckten.
|142| »Kommen Se mit.« Man musste die Leute mitnehmen, und die Leute folgten ihr tatsächlich, verwundert und mit hochgehaltenen Handys.
Lediglich ein etwas älteres Paar stand noch vor einer Glasvitrine mit einem Dokument darin. Der Herr schaute etwas orientierungslos in die Luft: »Well, which building is this here?« Die Dame hakte sich wieder bei ihm ein. »Oh dear, I am not quite sure, nice style, I think it’s the President’s House«, und man schritt an ihr vorbei. Weiter hinten hatten zwei Herren im Rentenalter ebenfalls noch nichts bemerkt. Sie kam näher, genoss den Moment. »Mensch, und ick hab die auch noch alle jewählt. Und was ham wa jetzt davon, außer dass mein Hund hier in keen See mehr baden darf?«
Sie neigte sich zu den Herren. »Wir sind bemerkenswert kreativ, wenn es darum geht, unser Elend verbal auszubreiten, nicht wahr? Ich verstehe Sie gut. Nur das hilft uns nicht weiter. Haben Sie vielleicht irgendwelche Vorschläge?«
Mildes Entsetzen auch hier. »Ach, Gott, nee.«
Sie mochte diese maskuline Form der Anrede nicht, erst Recht nicht in der Negation, lächelte trotzdem mit den Augen, was die Herren etwas lockerer werden ließ.
Vorschläge? Ob sie die wirklich hören wolle?
Ja, sie wollte.
Um sie herum hatte sich mittlerweile ein Pulk von etwa einhundert Personen gebildet, die Sicherheitsbeamten nicht eingerechnet. So ging das nicht. Sie benötigte einen gewissen Rahmen.
»Werden Sie die Dolmetscherkabinen brauchen oder die Videoaufnahme?« Die junge Dame, die für
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