Die Eisläuferin
zumindest sah es so aus.
Er konnte jetzt schneller fahren und glitt mit ihr wenig später lautlos in die Tiefgarage. »So, da wären wir.«
Der Aufzug in den siebten Stock befand sich direkt neben ihrem Parkplatz in der Tiefgarage. Als sie ausstieg, fand sie es hier fast noch stiller, als es schon im Wagen gewesen war. Es ging alles sehr schnell, und sie bemerkte erst jetzt die andere schwarze Limousine, aus der drei Sicherheitsbeamte stiegen, lautlos und schnell.
»Waren die die ganze Zeit hinter uns? Ich habe ja nur nach vorne und nicht zurück geschaut. Und was tun denn all die Menschen da draußen?«
Er hielt ihr die Tür zum Aufzug auf: »Das muss Sie nicht |138| weiter stören, nur eine etwas größere Besuchergruppe, alles angemeldet. Ist eben ein schöner Tag heute, vielleicht der letzte wirklich schöne in diesem Jahr. Da kann man schon mal vors Haus gehen.«
Sie schwieg, wollte ihn nicht weiter in Verlegenheit bringen. Man konnte ihr vieles erzählen, aber das nicht. Sie musste sich andernorts Aufklärung verschaffen.
Die siebte Etage war tatsächlich so beeindruckend groß und weit und lichtdurchflutet, nach oben fast offen, wie sie es im Film gesehen hatte. Die Wege waren ein bisschen lang, fand sie, das entschleunigte mehr, als ihr momentan lieb war. Sie schaute sich um, versuchte sich zu orientieren. Alles war nach allen Seiten so offen, dass sich jegliche Richtung, kaum hatte man sie zu finden geglaubt, wieder verlor.
Und dann war er plötzlich da, der Moment, eine dieser kostbaren Gelegenheiten, die es zu nutzen galt: Sie war allein. Herr Bodega hatte sich zurückgezogen, war mit dem Aufzug wieder nach unten gefahren, es surrte noch. Sie blickte sich um, keine Büroleiterin in Sicht, von MAV und Pressesprecher oder anderen Mitarbeitern keine Spur. Anscheinend nahm man tatsächlich an, sie würde einen Home-Office-Tag einlegen. Sie musste an Herrn Bodega denken. Das Verschweigen dieser Änderung im Plan wäre eine sehr großherzige Geste von ihm.
Sie konnte es kaum glauben, blickte hoch zur Skylobby, auch da niemand, lief schneller, blickte sich um, kniff die Augen zusammen. Jetzt nur ruhig bleiben. Es musste doch einen Weg zu all den Menschen da unten geben. Und tatsächlich, da war eine Tür. Dahinter begann ein kleiner Korridor, der auf eine weitere Tür zu führte, und als sie durch diese trat, entdeckte sie einen recht geräumigen Küchenaufzug. Egal, dachte sie, Hauptsache, erst einmal nach |139| unten. Sie ging hinein, und soweit sie sehen konnte, gab es hier auch keine Kameras. Sie drückte den Aufzugknopf, und die Türen schlossen sich.
Ein Mann mittleren Alters in bequemen, vorne und seitlich offenen Schuhen und eine Dame in einer hellen, leichten Wetterjacke standen vor dem »Großen weißen Kopfzeichen« im Eingangsbereich. Es war aus porösem stumpfweißem Stein, mit einem kaum wahrnehmbaren Hauch von Rosa und einer eigenwilligen Geometrie darauf.
»Also, ich weiß ja nicht.«
»Haste schon ›die Philosophin‹ da hinten an der großen Treppe gesehen? Mutig, kann ich dir sagen, sehr mutig.«
»Du sollst sie ja nicht so nehmen, wie sie da so steht, sondern als Inbegriff des nachdenklichen Menschen sehen.«
»Dass die nachdenkt, da musste erst mal draufkommen. Warum sitzt die dann nicht da wie diese Figur in Paris? Und dass die immer alle nackt sein müssen.«
»Rodin?«
Die beiden waren mit der zeitgenössischen Kunst offenbar ein wenig überfordert und noch etwas indifferent. Sie hatte sich lange genug hinter dem »Großen weißen Kopfzeichen« versteckt, trat nun langsam hervor und versuchte zu lächeln.
Die beiden Besucher erschraken, schauten sich kurz um, murmelten ein »Oh, wir bitten vielmals um Entschuldigung«, so als hätten sie jemanden zu Hause gestört, und verschwanden in der Menge. Man verlor sich aus den Augen. Der erste Versuch einer Aufklärung vor Ort war somit fehlgeschlagen.
Drüben auf dem mintgrünen Teppich im Eingangsbereich standen mehr Menschen. Auf die steuerte sie jetzt zu. |140| Dadurch brachte sie allerdings das anwesende Organisations- und Überwachungsteam gehörig durcheinander. Das Personal war nun ausschließlich mit um Unauffälligkeit bemühten Abstimmungsversuchen beschäftigt – und verlor dabei gänzlich die Besuchermassen aus den Augen. Handys wurden jetzt über die Köpfe gehalten, Kameras blitzten.
Sie nahm Kurs auf einen jüngeren Sicherheitsbeamten an der Tür: »Alles in Ordnung, lassen Sie nur, bleiben Sie
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