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Die Eisläuferin

Die Eisläuferin

Titel: Die Eisläuferin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Münk
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Fragen und für die Präsentation des internationalen Konferenzraums im ersten Stock zuständig war, rang um Fassung und offenbar auch um Worte beim Anblick ihrer obersten Chefin. »Wollen Sie wirklich mit dem ganzen Volk hier rein?«
     
    |143| Während im ersten Stock die spontane Volkskonferenz mit der Regierungschefin ihren Lauf nahm, schlugen im siebten Stock die ersten Büroeinrichtungsgegenstände gegen die Tür. Dem MAV ging es nicht gut.
    »Herrje, nun hatten wir gerade eine Lösung gefunden, und jetzt ist sie plötzlich doch hier? Die ist ja wirklich für Überraschungen gut. Etwas mehr Kommunikation hätte nicht schaden können!« Sein Lachen klang leicht hysterisch. Er schaute auf die Uhr. »Er kommt in zwanzig Minuten. Wie kriegen wir das hin, ohne dass es wie abgeführt aussieht?«
    Die Büroleiterin ging das kurze Ansprachemanuskript für den kurzfristig eingeladenen Herrn nochmals durch. Sie hatte den Text anderthalbzeilig in Schriftgröße 14 auf einen DIN-A 5-Zettel geschrieben. »Wer soll abgeführt werden, sie oder er?«
    »Na, sie natürlich!«
    »Das wird nicht gehen. Das hier ist ihr Haus, nicht seines. Und was ist denn so schlimm daran, den Menschen nahe sein zu wollen, selbst wenn der Küchenaufzug der einzige Weg dorthin ist? Und das, was sie da unten jetzt veranstaltet, entspricht doch durchaus dem Anlass. Keine Sorge, sie kann gut mit Leuten, wenn man sie lässt, wie sie will.«
    Der MAV konnte so viel Ruhe, die in seinen Augen geradezu an Kaltblütigkeit grenzte, nicht fassen: »Haben Sie eine Ahnung, was da alles passieren kann? Das wird aufgenommen, da ist unangemeldete Presse dabei. Und dann Facebook, Twitter, SM S-Ketten , so schnell können sie gar nicht gucken, und dann ist das in der Welt! Keine Kontrolle! Wir werden keines ihrer Worte zurücknehmen können!« Er sah auf die Uhr. »Es ist vierzehn Uhr, also quasi perfekt für die Berichterstattung in den Blättern für morgen! Mein Gott.«
    Sie legte den Kopf schräg und sah nochmals mit etwas |144| mehr Abstand auf den Zettel: »Ob ich Probleme mit dem Protokoll kriege, wenn ich unsere Schrift verwende?« Sie legte ihn wieder zur Seite und schaute auf: »Soll ich Ihnen mal was erzählen? Angeblich hat Giscard d’Estaing im Versuch, den einfachen Leuten nahe zu sein, morgens um halb sieben den Müllfahrern aufgelauert, um sie in den Elysée-Palast zum Frühstück zu zerren. Das ist schon ein wenig entrückt, nicht wahr? Die armen Müllmänner. Ein solches Problem haben wir da unten jetzt nicht. Man muss flexibel sein in unserem Job. Ist sie selbst doch auch.«
    Er schwieg, wollte nicht derjenige sein, der so etwas infrage stellte.
    Doch sie hatte seine Einwände sehr wohl verstanden: »Lassen Sie ihr einfach sagen, der europäische Notenbankchef sei am Telefon. Ich könnte ihn anrufen.«
    Es ging nichts über ein gut organisiertes, mitdenkendes Büro. Sie hatte das letzte Wort. Der Rest war Kopfnicken.
     
    Im internationalen Konferenzraum hatte man die Blumenbouquets in der Mitte aus dem Saal schaffen lassen. Dort und auf den Stufen saßen die Leute mit Kindern, die fragten, ob sie echt sei, wo sie sich da doch selbst nicht so sicher war.
    Die ersten brav gestellten Fragen kamen: Wann sie morgens aufstehe, welches Handy sie benutze, ob sie schon wisse, von wem sie sich malen lasse irgendwann einmal. Und sie gab Auskunft, soweit sie es zu wissen glaubte. Doch ganz langsam beschlich sie ein Verdacht, denn sie spürte eine eigenartige Erwartungshaltung, so als wolle man etwas ganz Bestimmtes sehen und hören, um nachher sagen zu können, dass man genau das gesehen und gehört hatte, was zu sehen und zu hören man sich vorher schon gedacht hatte. Und die Antworten auf die Fragen, die nicht gestellt |145| wurden, schien man gar nicht hören zu wollen, weil man sie schon zu kennen glaubte. In den Köpfen der Leute war ihre ganze Person bereits fertig, fix und fertig. Sie war ein Luftgespinst, ein einziger Spuk!
    Die Menschen guckten, sie guckten einfach! Und wahrscheinlich guckte sie selbst schon so, wie die Leute erwarteten, dass sie guckte. Nein, so ging das nicht.
    Sie hatte sich an einen der Konferenzplätze gesetzt und instinktiv ein weißes Blatt Papier von dem Block, der vor ihr lag, in die Hand genommen. Sie nickte in die Runde, räusperte sich und wartete auf ihre Worte. Irgendetwas würde sich schon nach vorne kämpfen. Sie schloss den oberen Knopf des Blazers. Und dann fiel ihr etwas ein, das noch ganz frisch drin war in

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