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Die Eisläuferin

Die Eisläuferin

Titel: Die Eisläuferin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Münk
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und da einige dezente olfaktorische Erinnerungsanker zu setzen, als es klingelte. Man ließ ihm wahrlich keine Chance, den Kopf freizukriegen, da bewunderte er schon ein wenig seine Frau, die gleich aufwachen würde.
    Herr Bodega stand vor der Tür. »Entschuldigen Sie vielmals die frühe Störung, aber ich dachte, dass ihr das hier ein wenig auf die Sprünge helfen könnte.« Er kam herein, öffnete seinen Mantel und entnahm der Innentasche eine C D-Rom . »Das ist die gestrige Aufnahme aus dem internationalen Konferenzraum. Tag der offenen Tür, Sie verstehen. Die war gestern Abend noch bei mir, ich habe eine Kopie erstellt und das Original wieder ins Amt gebracht.«
    Er schloss die Tür hinter dem Gast, stellte Peach Garden auf dem Sideboard im Flur ab. Was ging hier vor sich? »Ich verstehe nicht recht, glauben Sie, dass sie die heute schon sehen will? Ist das abgesprochen?«
    Herr Bodega versuchte etwas zu bemüht, neutral zu bleiben: »Oh, ich denke, dass sie sich das wünschen würde.«
    »So, denken Sie. Hat sie Ihnen die gestern gegeben?«
    »Ja, ich sollte sie noch aus dem Videosystem holen, kurz bevor wir fuhren. Es ist vertraulich.«
    Ihr Gatte hatte keine Lust, sich näher mit dem zu beschäftigen, was ihm gerade durch den Kopf ging. »Kommen Sie ins Wohnzimmer. Sie wird gleich wach werden. Es kann dauern. Möchten Sie einen Kaffee oder einen Pfirsichsaft?«
     
    Der MAV versuchte, sich auf die Vorbereitung der nachrichtendienstlichen Lagebesprechung zu konzentrieren. Es ging nicht. Sein erster Gedanke nach dem Aufwachen hatte seiner Chefin gegolten, und er ließ ihn nicht los. Er wählte |152| die Nummer der Büroleiterin, hätte es am liebsten in die Welt geschrien, und doch blieben ihm nur zwei Personen, denen er sich anvertrauen konnte.
    Sie sei gerade erst aufgewacht, sagte sie, und ihr erster Gedanke kreiste wohl eher um Kaffee oder Dusche als um ihre Chefin. Ihr reichte es wahrscheinlich schon, wenn sie die Kollegen morgens in der Tiefgarage traf, man musste sie nicht auch noch gleich beim ersten Augenaufschlag am Telefon haben. Aber hier verhielt es sich anders. Dies war erstens seine, zweitens ihre und drittens eine nationale Angelegenheit.
    »Ich habe jetzt die Aufnahme. Können Sie sich vorstellen, was passiert wäre, wenn die Opposition oder gar der Koalitionspartner das in die Hände gekriegt hätte? ›Neue Strukturen, neue Köpfe vor neuen Inhalten‹ – mein Gott, ich darf gar nicht darüber nachdenken. Ich sage Ihnen, wir müssen als allererstes diesen Therapeuten mit seiner Gefühlsduselei aus dem Wege schaffen. Der betreibt die reinste Gehirnwäsche mit ihr!«
    »Kann das nicht noch bis halb acht warten?«
    »Nein, verdammt noch einmal. Ich muss vorher noch in die nachrichtendienstliche Lage. Ich muss denen langsam erklären, warum ich die Kollegen plötzlich auf den KGB in Zusammenhang mit dieser Klinik ansetze. Die kommen da so nicht weiter. Mein Gott, und der Außenminister will jetzt auch genau so einen Coach, sagt er, ob ich ihm die Adresse geben könne. Und dann die Presse! Haben Sie schon die Zeitungen gelesen? Ich werde hier noch verrückt.«
    Sie versuchte hörbar, ein Gähnen zu unterdrücken, und er fühlte sich genötigt, sein Handy etwas vom Ohr weg zu halten. So nah wollte man den Menschen ja nun auch nicht kommen. Die Büroleiterin war ihm sowieso ein wenig unheimlich, lebte innerhalb des Amts in einer seltsamen |153| Zwischenwelt, war Tür und Mauer zugleich. Dieses Mal jedoch öffnete sich die erhoffte kleine Tür.
    »Hören Sie, ich befürchte, Sie schätzen unseren Einfluss auf die Situation völlig falsch ein. Sie müssen erst einmal bei ihr selbst weiterkommen. Sie ist der Schlüssel, noch ist sie die Chefin. Und sie scheint diesen Dimitrij inzwischen wiederzuerkennen. Keine Ahnung, wie er das geschafft hat, aber wenn sie ihn behalten will, können wir gar nichts tun. Dann machen wir die Dinge nur noch schlimmer, und sie legt Wutausbrüche vor laufender Kamera hin.«
    »Hm.« Der MAV kam ins Grübeln.
    »Mehr will ich dazu auch gar nicht sagen, steht mir ja sowieso nicht zu.«
    Sie klang ein wenig pikiert, der Tonfall kam ihm bekannt vor. Doch er gab noch nicht auf: »Und wenn wir ihn ihr ausreden?«
    »Sie können ihr vielleicht einen Halbsatz oder die Schuhabsatzhöhe ausreden. Aber doch nicht einen leibhaftigen Menschen!«
    »Nun, ich dachte da an eine Art Halluzination, ein kleines Durcheinandergeraten der Erinnerungen, verstehen Sie? Passiert uns doch auch

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