Die Eisläuferin
tatsächlich, nahm noch im Rückwärtsfahren ordentlich Schwung, verlagerte das Gewicht auf das rechte Bein, presste es in der Rechtskurve fest ins Eis. Und dann sprang sie im entscheidenden Moment nach hinten ab, nicht hoch, aber immerhin, drehte sich in der Luft und kam so entschlossen wieder auf dem linken Bein auf, dass das Eis knirschte.
Er glaubte seinen Augen nicht zu trauen, aber sie hatte ihn tatsächlich hingelegt, den halben Rittberger. Sicher, er war ausbaubar, aber er war vor allem eines: eine wahrhaft gute vorweggenommene Erinnerung.
Sie half ihm vom Eis. »Das war sehr zufriedenstellend, und ich hoffe, dass ich das Ergebnis unserer Bemühungen morgen früh abrufen kann. Ich danke Ihnen. Mir geht es wunderbar, wenn ich das noch bemerken darf. Und jetzt müssen wir uns langsam auf den Heimweg machen, nicht wahr? Wir wollen es schließlich nicht übertreiben.«
Er konnte wenig mehr für sie tun, als ihr beim Verlassen der Halle eine dieser kleinen Schneekugeln zu kaufen, als Andenken. Denn dies war der Tag, an dem sie anfing, Erinnerungen zu sammeln.
|173| Unglück im Glück
Er kam erst jetzt dazu, die Küche aufzuräumen und abzuspülen, wollte dies nicht der Putzfrau überlassen, die zwei Mal in der Woche kam. Denn man konnte beim Einlassen des Spülwassers, beim Betrachten der Bläschen, wie sie langsam zu Schaum wurden, und schließlich beim Reinigen des Backblechs und der Pfannen auch ein wenig mit sich selbst ins Reine kommen. Er ließ den Drahtschwamm übers Teflon kreisen. Man musste nur das genaue Gegenteil von dem tun, an das man gerade dachte, und es ergaben sich mit etwas Glück völlig neue Impulse. Wie viele bahnbrechende Entwicklungen mochten in den Küchen dieser Welt ihren Anfang genommen haben. Das Problem war nur, dass man sich viel zu selten in Küchen aufhielt, fand er.
Er dachte nur an sie, als er das Blech vorsichtig aus dem Wasser hob. Genauer gesagt, dachte er an das, was der MAV von sich gegeben hatte, als er vor etwa einer Stunde vorbeigeschaut hatte. So viel Besuch hatten sie vorher nie bekommen, die Wohnung war zum reinsten Taubenschlag geworden, und man konnte sich auf rein gar nichts mehr konzentrieren.
Herrn Bodegas Tasse war noch warm gewesen, als sich der MAV davorgesetzt hatte, keine Chance auf Spülgang. Ob er ihm etwas zu trinken anbieten könne, hatte er gefragt. Ja, gern, ob man einen Petersiliensaft habe. Nein, er |174| hatte keinen. Also hatte der MAV zu erzählen begonnen, schien sich in etwas hineingesteigert zu haben, das auf den ersten Blick völlig absurd schien, und doch blieb eine dunkle Ahnung, dass ein Bruchteil von dem, was er behauptete, wahr sein konnte. Und bereits das wäre schlimm genug gewesen.
Er habe ihm das nicht per Telefon mitteilen wollen, hatte er gesagt, man könne sich nie sicher sein, und zudem habe er mutige Aussagen zu treffen, denn er sei Politiker, habe weitergedacht, weiter als alle anderen. Es kursiere nämlich ein Video vom Tag der offenen Tür im Internet – nicht eines dieser kleinen, harmlosen Handy-Filmchen, die Amateure einstellten oder Journalisten, die das Gespür für den richtigen Augenblick mit der Kunst des Weglassens kombinierten. Nein, dieses Video sei der offizielle Mitschnitt der Gesprächsrunde der Regierungschefin mit dem, nun ja – hier hatte er gezögert – dem Volk eben. Das ließe vermuten, dass es einen Maulwurf im Amt gäbe, der nun das vollends öffentlich gemacht habe, was fatalerweise öffentlich gewesen war.
Er hatte den Kaffeelöffel von der Untertasse genommen, um damit auf die Tischplatte zu klopfen, und es hatte sich angehört wie ein Trommelwirbel für das, was er anschließend noch zu berichten hatte. Das alles sei ja nicht das eigentliche Problem, kein außerordentliches Vorkommnis im eigentlichen Sinne. Vielmehr habe man bei Ansicht des Materials festgestellt, dass die Regierungschefin auf dem besten Wege sei, eine nicht ganz konforme Wandlung zu vollziehen, sie sympathisiere plötzlich mit der Basisdemokratie, demonstriere eine gefährliche Spontaneität dabei, und so etwas könne ihren Wiedereingliederungsprozess in die Politik doch ein wenig erschweren. Sie sei, so sei sein Fazit, einfach nicht wiederzuerkennen. Und das sei so |175| ziemlich das Schlimmste, was einem Politiker widerfahren könne.
Nun, mitunter sei es doch auch schlimm, einfach so wiedererkennbar zu sein als Politiker und überhaupt, hatte er dem MAV geantwortet und anschließend versucht, ihn ein wenig zu beruhigen.
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