Die Eisläuferin
wieder: »Nun, dieser Vorgang hier unterliegt natürlich dem Datenschutz, wenn Sie mich verstehen.« Ein Handy wurde direkt zwischen sein und ihr Gesicht gehalten, und es klickte. Er ließ sich nicht beirren und schob den fremden Arm beiseite: »Ich muss das erst noch mit meinen Kollegen abklären.« Und dann auf Dimitrij und seine schon etwas in die Jahre gekommene Maschine blickend: »Benötigen Sie einen Fahrer?«
Sie verstand die Frage nicht und ging dazwischen: »Hören Sie, wir haben es bis hierher geschafft, und wir werden den Rest der Strecke auch noch schaffen, wenn Sie gestatten. Machen Sie sich keine Sorgen. Er ist in guten Händen.«
Noch bevor sie den Helm wieder ganz aufgesetzt hatte, war das Klicken zu hören gewesen, gefühlte hundert Mal. Und an dieses Klicken hatte sie eine Erinnerung, es ging einem durch Mark und Bein. Sie blickte sich um. Der gelbe Kleinwagen war auf der anderen Straßenseite herangefahren, der Junge auf der Rückbank streckte wieder die Zunge heraus, und seine Mutter zielte auf sie ab.
Die Maschine kam in der Nähe ihres Hauses zum Stehen, unauffällig und nah genug, dass sie den Rest der Strecke bis zur Haustür zu Fuß zurücklegen konnte. Sie stieg ab und |181| behielt den Helm noch an, man konnte sich recht gut mit ihm anfreunden, fand sie, er zwickte nicht mehr. Als sie sich von Dimitrij verabschiedete, bemerkte sie, dass dieser blass und ernst geworden war, es hatte sich etwas zusammengebraut über den Baikalseen.
»Ich habe einen Fehler gemacht. Es tut mir leid.« Er konnte ihr nicht in die Augen sehen.
»Nun fangen Se sich mal wieder. Das passiert eben. Vielleicht werde ich mich sogar daran erinnern können, und das ist doch eine gute Nachricht, finden Se nicht?«
Er war nicht überzeugt. »Es geht nicht um den Fehler an sich. Es geht vielmehr um seine Folgen für Ihr Amt. Ich möchte Ihnen keinen Ärger machen, das ist das Letzte, was ich will.«
Sie nahm den Helm jetzt doch ab und erklärte, während sie den Kinngurt im Innern verstaute: »Hören Sie, Sie können nicht immer alles richtig machen, und Sie werden niemals von allen geliebt werden. Dummerweise fällt das, was man richtig macht, oft nicht weiter auf. Einer meckert immer. Wenn Sie Pech haben, tut es die ganze Nation.« Sie lief um die Maschine herum und blickte ihm in die Augen: »Doch an eines müssen Sie immer denken: Ein Fehler wird erst ein Fehler in der Beurteilung der anderen. So einfach ist das. Ich nenne es den radikalen Konstruktivismus, damit es sich etwas schwieriger anhört.«
Er nickte ein wenig erleichtert, wie es ihr schien, und fuhr davon.
Als sie am frühen Nachmittag durch die Tiefgarage ins Amt kam, war sie doch ein wenig überrascht. Sie hatte es sich längst nicht so lebendig vorgestellt, es lag eine bemerkenswerte Geschäftstüchtigkeit in der Luft, und draußen vor dem Zaun standen Kamerawagen mit daran verkabelten |182| Korrespondenten, die in große, grelle Mikrophone sprachen. Auf dem Flur kamen ihr Mitarbeiter entgegen, die nicht zu wissen schienen, was sie zu ihr sagen oder wohin sie blicken sollten. Man lächelte, nickte kurz, lief schnell vorüber an ihr in andere Räumlichkeiten. Sie ahnte es, während sie in den Trakt einbog, in dem sie ihr Büro vermutete: Dieser ganze Zirkus hier galt ihr, keine Frage. Andererseits, dachte sie, hatte sie eigentlich nichts Verwerfliches getan. Gut, da war dieser Film, der jetzt im Internet zu sehen war und in dem sie lediglich ein paar gängige Thesen von sich gegeben hatte, die man in der heutigen Zeit offenbar als fahrlässig bezeichnete. Und sie hatte sich über eine rote Ampel fahren lassen. Das war dem Volk doch wohl halbwegs sympathisch zu vermitteln, fand sie, viel einfacher als keine Steuersenkungen in 2012.
Als sie eintrat, wartete bereits das komplette Team am Tisch und klapperte mit den Instrumenten. Die Patientin war auf die Intensivstation zurückgekehrt. Sie spürte, dass ihr langsam schwindelig wurde, als der MAV das Notebook vor sie hinstellte, es aufklappte und die Online-Meldungen startete. Kaum Text, nur Fotos, geschossen wie im Reflex, eine einzige Abfolge von Reflexen. Sie kam mit den Augen gar nicht so schnell hinterher.
Doch sie war gut getroffen, fand sie, flott, die Sonnenbrille noch auf der Nase, den Helm in den Händen. Und auch auf dem Eis war der entscheidende Moment kurz vor dem Absprung hervorragend festgehalten worden. Irgendjemand musste sie beobachtet haben, und schlagartig ließ ihr
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