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Die Eismumie

Die Eismumie

Titel: Die Eismumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Bonansinga
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handelte, in dem um Beistand angerufen wurde, wie «Sankt Christophorus, beschütze uns». Aber nachdem De Lourde und der Priester immer mehr von diesem «Gefühl» geschwafelt hatten, das sie in Bezug auf Grove hatten, von Zyklen des Bösen und von anderen undurchsichtigen Geschichten aus der Vergangenheit, waren Okuda allmählich alternative Bedeutungen für die Wörter eingefallen. All das hatte ihn hierher geführt, in dieses feuchtkalte unterirdische Labor und zu den konvergierenden hellen und dunklen Strichen auf dem Computermonitor.
    «Hierüber müssen wir mit ihm sprechen», sagte Okuda schließlich und spürte den Anflug eines Schuldgefühls, als würde er im Schicksal eines anderen Menschen stöbern wie ein Stadtstreicher in einer Mülltonne.
    «Das Blut ist zweitrangig», murmelte eine Stimme hinter Okuda. Father Carrigan blickte zu Boden und sprach ins Leere. Sein faltiges Gesicht verdüsterte sich in ernster Trauer. «Das Blut ist nicht das Wichtigste.»
    De Lourde wandte sich seinem neuen Freund zu. «Und was ist das Wichtigste, Father?»
    Der alte Mann sah auf und entgegnete mit furchtbar leiser Stimme: «Wichtig ist die Anrufung.»
     
     
    Sie saßen im blauen Dunst, zwei unverbesserliche Raucherinnen, die sich in einen menschenleeren Imbiss gegenüber dem Olympia General Hospital zurückgezogen hatten.
    Vida Grove hielt ihre L & M zwischen schlanken braunen Fingern und paffte zögerlich daran, als würde sie von einem Medikament kosten. «Er sollte ja nicht einmal da sein», sagte sie mit einem wehmütigen Nicken ihres beeindruckenden grauen Hauptes. «Ich habe es Ulysses nie erzählt, aber er sollte eigentlich gar nicht auf der Welt sein.»
    «Tut mir Leid, aber ich verstehe nicht ganz, was Sie meinen», sagte Maura. Sie saß Vida gegenüber und hatte eine Tasse Kaffee sowie einen bisher unangetasteten Doughnut vor sich. Sie fühlte sich wie durch die Mangel gedreht, ausgelaugt und lächerlich. Doch jetzt hörte sie sich aufmerksam an, was die ältere Frau anscheinend zu beichten hatte.
    «Als ich noch ein junges Mädchen war», begann Vida, «und mit ihm – wie sagt man? Mit Ulysses?»
    «Schwanger war?»
    «Ja, da gab es Probleme, wie mir der Arzt sagte. Ich bekam Diabetes, als ich im sechsten Monat war, und man sagte mir, dass ich mein Kind wahrscheinlich verlieren würde.»
    Maura nickte. «Das muss schrecklich gewesen sein. Sie waren eine allein erziehende Mutter, nicht wahr?»
    Vida tat die Frage mit einer Handbewegung ab. «Mein Mann blieb lange genug in meinem Leben, um mir das Kind zu machen, dann verschwand er wie ein Geist.»
    «O Mann!»
    Vida zog an ihrer Zigarette. «Ich wollte aber nicht hinnehmen, dass ich das Baby verlieren sollte. Also ging ich zu einem Seher…»
    «Einem was?»
    «Einem ‹Seher› – ein Mann aus dem Sudan, der unten an der Straße wohnte, ein Schamane. Dieser Mann war auch Heiler und Wahrsager, und er half anderen Afrikanern. Ich weiß, es klingt seltsam, aber ich wollte diese Drohung, dass mein Baby sterben würde, einfach nicht wahrhaben, und deswegen bin ich zu dem Seher gegangen und habe ihn gefragt, was ich machen sollte. Ich werde jenen Morgen, an dem ich ihn in seinem Haus aufsuchte, nie vergessen. Er nahm mich mit ins Kellergeschoss, wo es dunkel war und ein Glasperlenvorhang in der Tür hing, und ich setzte mich vor sein Kohlenbecken…»
    «Kohlenbecken?»
    «Es war ein rituelles Feuer, voller Magie, so ähnlich wie – wie heißt das noch bei Ihnen – Weihrauch? In einer katholischen Kirche?»
    Maura nickte zustimmend. «Richtig, richtig.»
    «Und da sitze ich nun, ein verängstigtes Mädchen, schon sechs Monate weit, und dieser Mann, seine Augen werden sehr groß, und sein Gesicht ist erstaunt und vielleicht sogar auch ängstlich, und ich sage: ‹Washiri? Was ist denn?› Und er sagt: ‹Dein Baby, es ist etwas ganz Besonderes. Und er wird ein Prophet sein und an der Seite großer Führer gehen.›»
    Vida hielt inne, blies ganz lässig den Rauch aus und drückte dann ihre Zigarette in einem angesengten Plastikaschenbecher aus, der neben einer angetrockneten Ketchupflasche stand.
    «Dabei will ich doch nur wissen, ob mein Baby am Leben bleiben wird», fuhr sie fort, «und was ich dazu beitragen kann, mein Baby zu retten, und dann sagt mir dieser Seher, dass es zu einem großen Mann heranwachsen wird und dass es Dimensionen überschreiten wird. Ich konnte das nicht mehr ertragen und bin weggerannt. Ganz schnell weggerannt.»
    «Was ist dann

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