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Die Eismumie

Die Eismumie

Titel: Die Eismumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Bonansinga
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nicht unter Kontrolle. Er schaute hinüber zur Uhr und stellte fest, dass sich sein Nachmittagsschläfchen bis in den Abend hingezogen hatte.
    Zu einer Unterbrechung war es gegen fünfzehn Uhr gekommen, als der junge Arzt hereingeschaut hatte, um einige Verbände zu wechseln und Groves Hüfte zu untersuchen. Die Prognose war ausgezeichnet, und Grove erfuhr, dass er am nächsten Morgen entlassen werden würde. Aber jetzt, ans Kopfende des Bettes gelehnt, während er alle Finger einzeln bewegte und versuchte, die Schlaftrunkenheit aus den Augen zu blinzeln, kam er sich völlig orientierungslos vor.
    «Mtoto tamu», sagte die Frau, unter der Tür verharrend. Sie neigte den Kopf mit einer königlichen Anmut, dass es Grove einen Stich ins Herz versetzte.
    «Wer ist da?»
    «Mazazi hapa huku. »
    Die Worte klangen vertraut – Bantu oder Suaheli –, und die Stimme, diese samtene Stimme traf Grove im zentralen Nervensystem, so wie ein extrem hoher Pfeifton einem Hund durch Mark und Bein geht. Grove fuhr in die Höhe. «Mom?»
    Die Neonleuchten an der Decke flackerten auf, als Vida Grove zögernd das Krankenzimmer betrat. Eingeschüchtert hielt sie die feingliedrigen braunen Hände verschränkt, und ihr schmales und edles Gesicht war von Sorgenfalten gezeichnet. «Hivi … kwa hiyo a kutisha», sagte sie leise.
    Grove schwang seine bloßen Beine über die Bettkante und deckte sich schnell zu. «Bitte auf Englisch.»
    «Solche Angst, ich hatte solche Angst», stammelte sie, legte die Hände auf den Mund und näherte sich ihm dann mit der verlorenen Grazie einer alternden Balletttänzerin. Sie nahm ihn in die Arme und zog ihn an ihren Busen. Er regte sich nicht, hob noch nicht einmal seine Arme. Er atmete ihren Geruch ein – Estee Lauder, gebratener Schinkenspeck und Zigarettenrauch – und wich zurück.
    Auch Vida löste sich von ihm. «Deine Freundin erzählt, du wurdest schwer verletzt», sagte sie, nachdem sie eine Weile nur dagestanden hatte. Sie trug ein langes afrikanisches Tunikakleid aus einem Leinenstoff, der in kräftigem Scharlachrot und Indigoblau gefärbt war. Es hing lose um ihre spindeldürren Gliedmaßen. Sie hatte einen kleinen rundlichen Bauch, und ihre Zigaretten steckten in einem Beutel, der an einem Lederband um ihren Hals baumelte. Die Glimmstängel hüpften auf den leicht hängenden Brüsten, als sie hektisch gestikulierte. «Deine Freundin sagt, dass du angeschossen worden bist, als du diesen schrecklichen Mann verfolgt hast. Und du musst operiert werden.»
    Grove sah sie an. «Ich werd’s überleben. Welche Freundin?»
    Vida sah nervös zur Tür.
    Eine andere Stimme drang vom Korridor ins Zimmer. «Ich war es. Es ist meine Schuld.» Maura County trat ein. Ihre Jeansjacke hatte sie bis zum Kinn zugeknöpft. Sie wirkte verlegen und defensiv. «Ich wusste, dass es mich nichts anging, aber ich meinte doch, dass jemand sie anrufen sollte.»
    Vida ergriff das Wort: «Mtoto – »
    «Und wie zum Teufel haben Sie sie aufgespürt?», verlangte Grove zu wissen. Vor Zorn wurde ihm übel, und seine Kopfhaut fing zu jucken an. Kummer und Reue – auch Furcht – gerinnen sehr schnell zu Wut. «Ich habe sie mit keinem Wort erwähnt.»
    «An dem Abend in der Lobby vom Marriott, da haben Sie gesagt, dass Ihre Mutter in Chicago wohnt.»
    Grove rieb sich das Gesicht. «Ach, du lieber Gott.»
    «Ich habe Tom Geisel angerufen, ihm davon erzählt und ihn gefragt, ob es in Ordnung wäre, wenn ich sie anrufe.»
    Grove sah seine Mutter an. «Tut mir Leid, dass du den ganzen Weg umsonst auf dich genommen hast.»
    Die ältere Frau wirkte verwirrt. ‹«Umsonst›? Ich bin umsonst hergekommen? Ich verstehe nicht.»
    Grove zuckte die Achseln. «Wie du siehst, geht es mir gut, und morgen komme ich hier raus.»
    Vida berührte sein Bettgitter, als könne sie dadurch seine Schmerzen in den eigenen Körper ableiten. «Wenn der Sohn verletzt ist, dann kommt die Mutter zu ihm. So ist es nun einmal.»
    Grove schüttelte den Kopf. «Okay… du hast ja Recht. Also vielen Dank, dass du den weiten Weg gekommen bist. Aber mir geht es inzwischen wieder gut. Wirklich.»
    Vida sah die Journalistin an. «Er war als Kind schon so.»
    Maura lächelte. «Wieso überrascht mich das nicht?»
    «Wenn er mal hinfiel oder in eine Schlägerei geriet und ich ihn dann zu trösten versuchte, hat er mich immer abgewehrt, hat mich von sich gestoßen – »
    «Schon gut, Mom, es reicht…»
    «Wollte nie Hilfe annehmen.»
    «Schluss!»
    Die Lautstärke und

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