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Die Eismumie

Die Eismumie

Titel: Die Eismumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Bonansinga
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Gesundheit, sein Leben und seine Stärken als verhaltenswissenschaftlicher Profiler verloren hatte, die schmerzliche Umarmung eines Mannes, der in Ausübung seines Dienstes gefallen war, und schließlich jener undefinierbare Kern tief in seinem Inneren, aus dem eine übernatürliche Wahrnehmung entsprang. All das ballte sich in seinen Eingeweiden zusammen und drang als kalte, metallische Wut an die Oberfläche – Wut, die geschürt wurde von jenem übernatürlichen Geräusch, das aus den Schatten direkt rechts von ihm kam.
    Er legte Zorn behutsam auf den matschigen Boden zurück und ließ sich langsam in die «Schützengraben»-Position sinken – bäuchlings auf dem Boden, die Arme nach vorn ausgestreckt, den Hals gereckt. Er griff nach seinem Revolver. Der .357er Tracker fühlte sich kalt und ölig an. Wo zum Teufel blieben die Jungs, verdammt? Groves Hände zitterten nicht mehr. Seine Tränen waren versiegt. Die Wut gab ihm Halt und stärkte ihn. Er kroch langsam auf das Geräusch zu und versuchte mit geschärfter Wahrnehmung das Geräusch zu identifizieren.
    Es kam aus den Tiefen des Waldes am nördlichen Rand der Lichtung. Auf den Ellbogen robbte er beharrlich auf die Mauer aus Fichten und Blattwerk zu, war darauf gefasst, jeden Moment schießen zu müssen. Der Ton war sehr schwer zu orten. Es war eher eine Vibration, ein heiseres Brummen von zwanzig Hertz, als würde Luft in hektischen und unregelmäßigen Intervallen in die tiefsten Orgelpfeifen geblasen, und je näher Grove den Bäumen kam, desto mehr klang es nach angestrengten Atemzügen. Vielleicht hatte Zorn den Killer verwundet. Oder aber es war Teil einer Falle. Grove war es inzwischen egal.
    Er gelangte an den Saum des Waldes und ging in die Hocke. Bei jedem Laut, wie schwach er auch sein mochte, zuckte er zusammen, hielt die Waffe aber weiterhin ausgestreckt in der Verteidigungshaltung. Das Geräusch hatte kurz ausgesetzt. Grove spähte zwischen den Baumreihen und den dichten Ranken hindurch. Fast erwartete er, dass jeden Moment ein Pfeil auf ihn zugeschossen kam. Mit einer Stimme, die in seinen eigenen Ohren so sonderbar klang, als gehörte sie jemandem anderen, brüllte er in den Regen:
    «ACKERMAN!»
    Es war finster wie die Nacht in diesem Wald, in dieser Welt aus kreuz und quer gefallenen Stämmen und wild wucherndem Unterholz, so undurchdringlich dicht, dass es noch die letzten Reste des grauen Tageslichts schluckte. Grove ließ seinen Blick über den Lauf der Tracker schweifen, die Kimme verschwommen, das Korn klar und scharf. Seine Arme waren inzwischen stark und unnachgiebig. Zu seiner Rechten sah er ein schwaches Schimmern im ätherischen Licht. Grove blinzelte sich den Regen aus den Augen.
    Schließlich wurde ihm klar, was er sah: eine senkrechte Felsfläche hinter den Bäumen, eine natürliche Granitformation, wahrscheinlich vor Ewigkeiten ausgekerbt, als der Columbia-Fluss jung war und der Eismann noch über die gefrorenen Hänge der Cairns stapfte. Das verwitterte Schichtgestein war hinter Wald und Nebel versteckt, aber man sah deutlich, dass es in seiner Mitte einen dunkleren Schatten gab, eine Öffnung zu ebener Erde.
    Eine Höhle.
    Grove nahm seinen ganzen Mut zusammen. Das Geräusch kam aus dieser schwarzen Öffnung. Es war wie ein Schnarchen und Spucken, ein heiseres, kehliges Keuchen und pfeifendes Atmen, das aus der Dunkelheit widerhallte. Grove hielt sich gebückt, beide Hände am Revolvergriff, leckte sich nervös die Lippen, blinzelte die Nässe aus seinen Augen und schlich auf die Höhle zu.
    Das Geräusch wurde lauter.
    Grove machte sich klar, dass er einen Revolver mit Hohlspitzgeschossen in der Hand und dazu zwei Schnelllader bei sich hatte, die gegen seine Nieren drückten. Selbst wenn er mit einem Pfeil in die Halsschlagader getroffen würde, hätte er noch genügend Zeit, dem Dreckskerl mit ein paar gezielten Schüssen den Kopf wegzublasen. Wahnsinnige Wut elektrisierte ihn. Der Eingang zur Höhle war ein schartiges Oval von ungefähr zwei Meter Höhe – gerade ausreichend, dass ein Erwachsener durchschlüpfen konnte. Das Brummen hielt an. Als er im strömenden Regen mit laut klopfendem Herzen an der Schwelle zur Höhle innehielt, erwog Grove ganz kurz, auf Unterstützung zu warten. Er konnte hier am Eingang bleiben und dafür sorgen, dass niemand floh, bis die Einsatzkräfte kamen und die Situation klärten. Aber so schnell ihm dieser Gedanke gekommen war, so rasch verwarf er ihn wieder. Wenn es nun auf der anderen

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