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Die Eisprinzessin schläft

Die Eisprinzessin schläft

Titel: Die Eisprinzessin schläft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Läckberg
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Junge war tot.«
    Zum erstenmal während ihrer Erzählung zitterte ihre Stimme leicht, aber dann schluckte sie und zwang sich, mit erschreckender Ruhe weiterzureden.
    »Ich habe diesen Brief hier in der Küche gefunden. Sie haben ihn gelesen, Sie wissen, was drin steht. Daß das Leben eine einzige lange Qual für ihn gewesen ist und daß er jetzt keine Kraft mehr hat zu kämpfen. Es gab keinen Grund mehr für ihn, weiterzuleben. Ich habe dort in der Küche bestimmt eine Stunde, vielleicht auch zwei gesessen, ich weiß nicht genau. Den Brief in die Handtasche zu stecken war Momentsache, und dann brauchte ich nur den Stuhl zu nehmen, den er zum Hochsteigen benutzt hatte, und ihn wieder in die Küche zurückzustellen.«
    »Und warum? Warum denn nur? Was sollte das bringen?«
    Ihr Blick war fest, aber Patrik sah an ihren leicht zitternden Händen, daß die äußere Ruhe trügerisch war. Er konnte sich nicht einmal vorstellen, was für ein Grauen es für eine Mutter sein mußte, ihren Sohn an der Decke hängen zu sehen, mit dicker blauer Zunge und vorquellenden Augen. Es war schwer genug für ihn gewesen, Anders’ Anblick zu ertragen, und seine Mutter mußte nun den Rest ihres Lebens mit diesem Bild auf der Netzhaut leben.
    »Ich wollte ihm weitere Demütigungen ersparen. All die Jahre haben ihn die Leute hier verächtlich angesehen. Haben mit dem Finger auf ihn gezeigt und gelacht. Wenn sie an ihm vorbeigegangen sind, haben sie die Nase hoch getragen und sich als was Besseres gefühlt. Was würden sie sagen, wenn sie hörten, daß sich Anders erhängt hat? Ich wollte ihm die Schande ersparen und habe es auf die einzige Weise getan, die mir eingefallen ist.«
    »Aber ich verstehe immer noch nicht. Warum ist es schlimmer, sich das Leben zu nehmen, als ermordet zu werden?«
    »Sie sind zu jung, um das zu verstehen. Die Verachtung für Selbstmeuchler, wie man sie früher hier nannte, sitzt bei den Leuten in der Küstenregion noch immer tief. Ich wollte nicht, daß sie so über meinen kleinen Jungen reden. Man hat sich all die Jahre genug das Maul über ihn zerrissen.«
    In Veras Stimme war Härte zu spüren. Jahrzehntelang hatte sie ihre ganze Energie darauf verwendet, den Sohn zu beschützen und ihm zu helfen, und auch wenn Patrik ihr Motiv nicht richtig verstand, war es vielleicht nur natürlich, daß sie Anders, auch als er tot war, beschützen wollte.
    Vera streckte die Hand nach dem Fotoalbum auf dem Tisch aus und öffnete es, so daß sie beide hineinschauen konnten. Nach der Kleidung zu urteilen, glaubte Patrik, daß die Bilder aus den siebziger Jahren stammten. Anders’ Gesicht lächelte ihm von all den leicht vergilbten Aufnahmen offen und sorglos entgegen.
    »War er nicht wunderbar, mein Anders?« Veras Stimme klang verträumt, und sie strich mit dem Zeigefinger über die Bilder.
    »Er ist immer ein so lieber Junge gewesen. Es hat nie Probleme mit ihm gegeben.«
    Patrik betrachtete die Fotos interessiert. Es war unglaublich, daß das hier derselbe Mensch war, den er nur noch als Wrack kennengelernt hatte. Was für ein Glück, daß der Junge auf den Bildern nicht gewußt hatte, welches Schicksal ihn erwartete. Eins der Fotos weckte Patriks besonderes Interesse. Ein mageres blondes Mädchen stand neben Anders, der auf einem Fahrrad mit schmalem Sattel und BMX-Lenker saß. Sie zeigte nur ein winziges Lächeln und schaute schüchtern unter ihrem Pony hervor.
    »Das ist doch wohl Alex?«
    »Ja.« Veras Ton war schroff.
    »Haben die beiden als Kinder viel zusammen gespielt?«
    »Nicht oft. Aber es kam schon vor. Sie gingen ja schließlich in dieselbe Klasse.«
    Vorsichtig begab sich Patrik auf schwieriges Terrain. Bei jedem Schritt tastete er sich erst langsam vor. »Soviel ich weiß, hatten sie eine Weile Nils Lorentz als Lehrer?«
    Vera schaute ihn forschend an. »Ja, schon möglich. Es ist so lange her.«
    »Wie ich mitbekommen habe, wurde eine ganze Menge über Nils Lorentz geredet. Nicht zuletzt, als er dann einfach verschwand.«
    »Hier in Fjällbacka reden die Leute über alles mögliche. Also haben sie bestimmt auch über Nils Lorentz geredet.«
    Es war nicht zu übersehen, daß er jetzt in einer eitrigen Wunde stocherte, aber er mußte weitermachen und noch tiefer bohren.
    »Ich habe mit Alex’ Eltern gesprochen, die einige Behauptungen in bezug auf Nils Lorentz aufgestellt haben. Behauptungen, die auch Anders betrafen.«
    »Ach ja.« Sie gedachte es ihm offenbar nicht leicht zu machen.
    »Nach dem, was sie

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