Die Eisprinzessin schläft
Mörder einen Fehler gemacht haben könnte. Jetzt befand sich Patrik wieder bei Null, und zum erstenmal kam ihm der Gedanke, daß er die Person, die Alex umgebracht hatte, nie finden würde. Das machte ihn seltsam traurig. Irgendwie hatte er das Gefühl, er würde Alex besser kennen als sonst irgend jemand. Was er über ihre Kindheit und ihr Leben nach dem Mißbrauch in Erfahrung gebracht hatte, berührte ihn tief. Er wollte ihren Mörder finden, koste es, was es wolle.
Aber er mußte es sich einfach eingestehen: Er steckte in einer Sackgasse fest, und er wußte nicht, wohin er von hier aus gehen oder wo er suchen sollte. Er zwang sich selbst, die Sache für heute beiseite zu schieben. Jetzt sollte er Erica, ihre Schwester und nicht zuletzt die Kinder treffen, und er spürte, daß er genau das heute abend brauchte. Von all dem Elend fühlte er sich völlig am Boden zerstört.
Mellberg trommelte ungeduldig mit den Fingern auf der Schreibtischplatte. Wo blieb der Bengel nur? Glaubte der, das hier sei ein verdammter Kindergarten? Wo er kommen und gehen konnte, wie er wollte? Zwar war heute Samstag, aber wenn einer dachte, daß er freimachen könne, bevor diese Geschichte hier vorbei war, dann irrte der sich gründlich. Nun ja, er würde diesen Irrtum schon bald ausräumen. Hier in seinem Revier galten feste Regeln, und es herrschte Disziplin. Eine klare Führung. Das waren die Zeichen der Zeit, und wenn es jemanden gab, der mit Führungsqualitäten geboren war, dann war er es. Seine Mutter hatte immer gesagt, daß aus ihm etwas Großes werden würde, und auch wenn er zugeben mußte, daß es vielleicht etwas länger gedauert hatte, als sie beide dachten, so hatte er doch nie daran gezweifelt, daß sich seine hervorragenden Qualifikationen früher oder später bezahlt machen würden.
Deshalb war es so frustrierend, daß die Ermittlungen anscheinend feststeckten. Er konnte seine Chance förmlich riechen, aber wenn seine miserablen Mitarbeiter nicht bald mit irgendwelchen Ergebnissen aufwarteten, dann konnte er in den Mond gucken, was seine Beförderung und die Versetzung anbetraf. Nichts als Versager hier. Dorfpolizisten, die wohl nicht mal den eigenen Hintern fanden, auch nicht mit beiden Händen und mit Hilfe einer Taschenlampe. Er hatte gewisse Hoffnungen in den jungen Hedström gesetzt, aber der schien ihn nun auch zu enttäuschen. Noch hatte er ihm jedenfalls kein Ergebnis von seiner Göteborg-Fahrt mitgeteilt, also hatte das vermutlich nichts anderes ergeben als eine Belastung der Kostenseite. Jetzt war es bereits zehn nach neun, und er hatte noch immer nicht die Spur von dem Kerl gesehen.
»Annika.« Er schrie in Richtung der offenen Tür und spürte, wie der Ärger weiter zunahm, als es gut und gern eine Minute dauerte, bevor sie sich vom Stuhl hochhievte, um seinem Ruf Folge zu leisten.
»Ja, was ist?«
»Hast du was von Hedström gehört? Macht er sich’s noch immer im warmen Bett gemütlich, oder?«
»Das glaube ich kaum. Er hat angerufen und gesagt, daß er heute morgen Probleme hatte, das Auto in Gang zu kriegen, aber er ist unterwegs.« Sie schaute auf die Uhr. »Er dürfte ungefähr in einer Viertelstunde hier sein.«
»Was denn, er kann ja wohl herlaufen.«
Die Antwort dauerte, und er sah zu seiner Verwunderung ein kleines Lächeln um Annikas Mundwinkel spielen. »Jaa, er war wohl nicht zu Hause, glaube ich.«
»Wo, zum Teufel, war er dann?«
»Das mußt du Patrik schon selber fragen«, sagte Annika, drehte ihm den Rücken zu und ging zurück in ihr Zimmer.
Daß Patrik also tatsächlich einen guten Grund haben könnte für sein Zuspätkommen, reizte Mellberg irgendwie noch mehr. Konnte man nicht ein bißchen vorausschauend sein und morgens etwas mehr Zeit einplanen, um eventuellen Ärger mit dem Auto auszugleichen?
Fünfzehn Minuten später kam Patrik herein, nachdem er erst rücksichtsvoll an die offene Tür geklopft hatte. Er wirkte außer Atem und war rot im Gesicht, schien unverschämt fröhlich und munter, obwohl er seinen Chef fast eine halbe Stunde hatte warten lassen.
»Glaubst du, wir arbeiten in diesem Amt nur halbtags, was? Und wo warst du gestern? Du bist ja wohl vorgestern nach Göteborg gefahren?«
Patrik setzte sich in den Besucherstuhl vor dem Schreibtisch und antwortete ruhig auf Mellbergs vorwurfsvolle Fragen. »Ich bitte um Entschuldigung, daß ich mich verspätet habe. Der Wagen wollte heute morgen nicht anspringen, und ich brauchte mehr als eine halbe Stunde, um ihn
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