Die Eisprinzessin schläft
scheint doch im Juli oder so zu sein?« Julia blickte Erica verblüfft an, die bei der Erinnerung lachte.
»Deine Schwester liebte diese Fäustlinge und bestand darauf, sie anzubehalten, nicht nur den ganzen Winter, sondern auch den größten Teil des Sommers über. Sie war störrisch wie ein Esel, und niemand konnte sie überzeugen, diese verdammten, ekligen Dinger auszuziehen.«
»Sie wußte, was sie wollte, stimmt’s?« Julia betrachtete das Bild im Album mit fast so etwas wie Zärtlichkeit. Eine Sekunde später war dieser Ausdruck wieder weg, und sie blätterte ungeduldig weiter zur nächsten Seite.
Erica erschienen die Fotos wie Reliquien aus einer anderen Lebenszeit. Seitdem war so viel geschehen. Manchmal war ihr, als seien die Kinderjahre mit Alex nur ein Traum gewesen. »Wir waren fast mehr wie Geschwister. Haben all unsere wache Zeit zusammen verbracht und übernachteten auch oft beieinander. Jeden Tag haben wir uns erkundigt, was es in dem jeweiligen Zuhause zu essen gab, und dann haben wir uns für den Ort entschieden, wo es das Beste gab.«
»Ihr habt, mit anderen Worten, häufig hier gegessen.« Zum erstenmal wagte sich ein Lächeln auf Julias Lippen.
»Ja, man mag über deine Mutter sagen, was man will, aber mit ihrer Kochkunst könnte sie sich jedenfalls nicht versorgen.«
Ein besonderes Foto zog Ericas Blick auf sich. Sie strich zögernd mit dem Finger darüber. Es war ein unglaublich schönes Bild. Alex saß im Heck von Tores Boot und lachte ausgelassen. Das blonde Haar flog ihr ums Gesicht, und hinter ihr breitete sich die wundervolle Silhouette von Fjällbacka aus. Sie waren bestimmt unterwegs zu den Felseninseln gewesen, um den ganzen Tag in der Sonne zu liegen und zu baden. Es hatte viele solcher Tage gegeben. Ihre Mutter war wie üblich nicht mitgekommen. Sie hatte eine Menge trivialer Aufgaben und Besorgungen vorgeschoben und war zu Hause geblieben. So war es immer. Die Ausflüge, an denen Elsy teilgenommen hatte, konnte Erica leicht an fünf Fingern abzählen. Sie lachte leise, als sie ein Bild von Anna beim selben Bootsausflug sah. Wie immer alberte die herum, und auf diesem Bild hing sie kühn über der Reling und schnitt furchtbare Grimassen in die Kamera.
»Deine Schwester?«
»Ja, meine jüngere Schwester Anna.«
Ericas Ton war schroff und gab zu erkennen, daß sie das Thema nicht weiter vertiefen wollte. Julia verstand die Signale und blätterte mit ihren kurzen dicken Fingern weiter im Album. Ihre Nägeln waren abgekaut, an einigen Fingern sogar so tief, daß sich Wunden an den Rändern gebildet hatten. Erica zwang sich, den Blick von Julias mißhandelten Fingern zu lösen, und schaute statt dessen auf die Bilder, die unter Julias Händen vorbeiflatterten.
Kurz vor dem Ende des zweiten Albums war Alex plötzlich von den Bildern verschwunden. Der Kontrast war scharf.
Nachdem sie zuvor auf jeder Seite zu finden gewesen war, gab es jetzt nicht ein weiteres Foto von ihr. Julia legte die Alben auf dem Tisch vorsichtig übereinander und lehnte sich in die Sofaecke zurück, die Tasse zwischen den Händen.
»Willst du nicht lieber etwas frischen Kaffee haben? Der muß doch schon kalt sein.«
Julia schaute in die Tasse. »Ja, wenn noch was da ist, nehme ich es gern.« Sie reichte Erica die Tasse, die froh über die Gelegenheit war, sich ein bißchen zu recken. Das Korbsofa sah gut aus, aber wurde nach einigem Sitzen weder vom Rücken noch vom Hinterteil sonderlich geschätzt. Julias Rücken schien nicht anders zu empfinden, denn sie stand auf und folgte Erica in die Küche.
»Das war ein schönes Begräbnis. Mit vielen Freunden hinterher bei euch zu Hause.« Erica stand von Julia abgewandt und füllte frischen Kaffee in die Tassen. Sie bekam nur ein nichtssagendes Gemurmel zur Antwort und beschloß, ein bißchen kühner zu sein. »Es hatte den Anschein, als wenn du und Nelly Lorentz ziemlich gut bekannt seid. Auf welche Weise kennt ihr euch denn?« Erica hielt den Atem an. Der Zettel, den sie bei Nelly zu Hause im Papierkorb gefunden hatte, machte sie auf Julias Antwort sehr neugierig.
»Papa hat für sie gearbeitet.«
Julia antwortete nur widerwillig. Ihre Finger fuhren in den Mund, ohne daß sie sich dessen bewußt zu sein schien, und sie fing hektisch an zu knabbern.
»Ja, aber das war doch lange vor deiner Geburt.«
»Als ich jünger war, habe ich im Sommer in der Konservenfabrik gearbeitet.« Julia ließ sich die Antworten aus der Nase ziehen und unterbrach das Knabbern
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